Ein Mann (Dejan Lilic) reist in wichtiger Mission zur Raumstation Solaris und begegnet dort seiner eigenen Vergangenheit. Er klopft an das Haus seiner Kindheit und tritt ein.

Foto: Daniel Zholdak

Wien – Was möchte man nicht alles auf den Mond schießen. Eben. Kris Kelvin, Protagonist aus Stanislaw Lems Klassiker Solaris (1961), versucht es tatsächlich. Eine ihn mit Schuldgefühlen quälende Erinnerung, die menschliche Gestalt angenommen hat, sperrt er in eine Rakete, und ab geht die Post ins Weltall. Wenig später allerdings sitzt sie, es ist das Simulacrum seiner Ehefrau Harey, wieder auf der Bettkante. Die Erinnerungsfrau bleibt zwanghaft an seiner Seite. Sie trägt in Andriy Zholdaks Festwochen-Inszenierung (koproduziert mit dem Mazedonischen Nationaltheater) das Anagramm Rheya.

Diese Szene gab es in der Halle E im Museumsquartier gar nicht zu sehen. Zholdak geht es nicht um eine Nacherzählung, nicht um das Scifi-Setting, sondern um Motive: Schuld und Vergebung, Erinnerung und Traum, Realität und Vorstellung. Man erfährt nichts über Thexallische Schlammmassive, dafür aber über "doppelte Schatten" oder den "gebrechenbehafteten Gott". Diese Motive benützt Zholdak für eine tiefergehende Erzählung, die die Hauptfigur in die eigene Kindheit führt und noch weiter.

Das Ich als Fratze

Kris wird in dieser insgesamt viel zu trägen Inszenierung in Vorstellungswelten geraten, die ihm wie im Albtraum sündhafte Gedanken und Taten vor Augen führen: die eigene Mutter begehren; vergewaltigen; die eigene Frau töten. Das teuflische Ich zeigt sich als Fratze.

Kris (Dejan Lilic) trägt, so empfindet er es, Mitschuld am bereits Jahre zurückliegenden Suizid seiner Gattin; er hatte sie damals im Streit verlassen. Auf der Raumstation Solaris nun, auf der er als Psychologe nach dem Rechten sehen soll, beginnen die mysteriösen Heimsuchungskräfte zu wirken. Einer der drei Mitglieder des Forschungsteams ist bereits tot, die beiden anderen, die Kris vorfindet, wirken nervlich zutiefst zerrüttet. Spricht der eine wie ein Star Wars-Bösewicht, so erscheint der andere als irre gewordener Laborant mit Tierfetisch.

Echo aus anderer Realität

Kelvins schweres Atmen durch das Sauerstoffgerät ist die tönende Hauptschlagader der textarmen Inszenierung. Dieses beschallt die große Halle E. Die Geräuschebene als Ganzes wirkt geisterhaft; das Knacken von Nüssen, das Ritzen mit dem Messer oder das Schlagen auf die Tischplatte: Tätigkeiten, an die sich gewisse Erinnerungen knüpfen, sie alle erzeugen irreal geblähte Laute, wie das Echo aus einer anderen Realität. Auch jeder Schritt zieht einen Donner nach sich. Diese Idee nützt sich rasch ab, wie sich Zholdak überhaupt zu eifrig an seine Unheimlichkeitskonzeption klammert, als dass sie irgendwann noch Wirkung zeitigte. Zudem bremst er die Weltraumzeit allzu kräftig (alles ist im luftleeren Raum ja etwas verlangsamt).

Mit Bühnenbildnerin Monika Pormale bastelt Zholdak an einem akustisch versierten Bildertheater, in dem sich auf und hinter Gazevorhängen beeindruckende Räume auftun. Immer wieder erscheint ein "weißes Licht". Lugt da Gott herein? Könnte sein, denn der Abend, dessen Pathos den Bogen letztlich bedeutungsschwanger überspannt, wird in seiner Deutung Lems noch religiöser.

Schuldmahlstrom

Da hängt ein Kreuz drohend im Klassenzimmer, da werden Kerzen vor Ikonen angezündet, und da wird am Ende Kelvins Vision des Gekreuzigten projiziert, wie er "für uns" gestorben ist. Ein Erlöser, der aber – so ungläubig ist Zholdak dann doch – seinem Betrachter den Mittelfinger sachte entgegenstreckt. Der Erlösungsgedanke ist also eine Chimäre. Na was! Die Schuld, die wir auf uns laden, bleibt in der Welt.

Die monumentale Demonstration dieses (männlichen) Schuldmahlstroms erlahmt an symbolischer Überfrachtung und Schwülstigkeit. Dennoch kurzer, freundlicher Applaus. (Margarete Affenzeller, 12.6.2016)