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Beim Wiener Westbahnhof eskalierte die Demonstration.

Foto: AP/Ronald Zak

Wien – Nach den schweren Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen den Aufmarsch von Mitgliedern der als rechtsextrem eingestuften Identitären in Wien wurden am Sonntag erste Bilanzen gezogen. Kritik, aber auch Lob, gab es am Einschreiten der Polizei, die nicht verhindern konnte, dass sich die Routen von Linken und Rechten kreuzten, und die schließlich massiv Pfefferspray einsetzte. Die Polizei hat auch nicht die neuen Bodycams verwendet, deren Aufzeichnungen Aufschlüsse über den Einsatz geben könnten beziehungsweise vor Gericht als Beweismittel zugelassen wären.

An der Kundgebung der Identitären hatten am Samstag zeitweise bis zu 1.000 Personen teilgenommen. Mindestens ebenso viele waren auch zu den angemeldeten Gegendemonstrationen gekommen. Die Polizei stand mit 1.000 Beamten im Einsatz.

Am Neubaugürtel flogen Gegenstände, ein Polizist wurde von einem faustgroßen Stein getroffen. Beim Wiener Westbahnhof, wo Gegendemonstranten den Marsch der Identitären stoppten, eskalierte die Situation schließlich. Mit Gittern von umliegenden Baustellen wurde der Gürtel blockiert, Kartoffeln wurden geworfen, kleinere Feuerwerkskörper abgefeuert. Identitäre schlugen mit Fahnenstangen auf Gegendemonstranten ein.

Marsch abgebrochen

Um 15.48 Uhr twitterte die Polizei: "Polizisten werden von Demonstranten angegriffen, daher wird Pfefferspray individuell eingesetzt." Auf Videos ist aber zu sehen, wie die Frontreihe der Beamten – in diesem Moment nicht bedrängt – mit dem massiven Einsatz des Reizmittels beginnt.

Am frühen Abend war die Straßenschlacht beendet. Die Identitären setzten ihren ursprünglich bis Schönbrunn geplanten Marsch nicht fort. Doch gegen 22.30 Uhr formierten sich rund 150 Identitäre neuerlich zu einer Demo in der Josefstadt. Grund: Über Netzwerke im Internet hatte sich das Gerücht verbreitet, dass ein Mitglied der Gruppierung schwer verletzt in einem Krankenhaus im Koma liege. Unter anderem hat auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die entsprechende Meldung der FPÖ-nahen Plattform unzensuriert.at auf Facebook verbreitet.

Keine Lebensgefahr

Tatsächlich wurde der betreffende Mann zwar mit einer Kopfverletzung im AKH behandelt, im Koma befindet er sich aber nicht. "Einen Komapatienten gab es nicht", teilte die Wiener Berufsrettung der Austria Presse Agentur mit. Der Wiener Krankenanstaltenverbund bestätigte, dass Mann wegen seiner Kopfverletzungen operiert werden musste. Die Operation sei gut verlaufen, derzeit bestehe keine Lebensgefahr, hieß es am Sonntag.

Nach bis Sonntag vorliegenden Meldungen wurden 13 Personen verletzt. Aufseiten der Gegendemonstranten gab es sieben Festnahmen, ein Identitärer sei nach dem Verbotsgesetz angezeigt worden, sagte ein Polizeisprecher. Der Einsatz von Pfefferspray muss nach dem Waffengebrauchsgesetz überprüft werden.

Bodycams wurden nicht eingesetzt, weil das Filmen immer individuell angekündigt werden müsse – was in dieser Situation unmöglich gewesen wäre, heißt es bei der Polizei. Es gebe aber Videoaufnahmen von Beweissicherungsteams. Körperkameras befinden sich bis Ende Februar 2017 in der Testphase. In Wien, wo 20 Geräte zur Verfügung stehen, wurden bisher unter anderem Schlägereien und Verwaltungsübertretungen gefilmt.

Minister verurteilt Attacken auf Polizisten

Kritik am "aggressiven Pfeffersprayeinsatz der Polizei" kam von der Sicherheitssprecherin der Wiener Grünen, Birgit Hebein. Die Exekutive habe "chaotisch" agiert. FPÖ-Landesparteisekretär Anton Mahdalik hingegen hält den Einsatz gegen "linksradikale Gewalttäter" für "völlig in Ordnung". Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) verurteilt die Ausschreitungen. Besonders schwerwiegend seien die Attacken auf Polizisten. (simo, 12.6.2016)