Russische Reisegruppe auf der Suche nach Streit. Einer davon trägt sogar ein Merchandising-Produkt der Moskauer "Orel Butchers" am Körper.

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Typische Szene: Hier wird gerade die Einrichtung eines Straßencafés in Lille zerlegt.

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Polizisten sind zwar vor Ort, aber ihre Anwesenheit beeindruckt nicht allzu sehr. Im Hintergrund sind Engländer zu sehen.

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Es sind Bilder, die man bei einer Europameisterschaft lieber nicht sehen möchte. Die Rede ist von Schlägereien verschiedener Fanlager, zerstörten Straßencafés und blutüberströmten Menschen, die orientierungslos umherlaufen. Es scheint so, als hätten die französischen Polizeikräfte nach Monaten des Anti-Terror-Ausnahmezustands und dem Fokus auf Stadien und die großen Public-Viewing-Arenen auf ein kleines Detail vergessen: Hooligans sind sehr reisefreudig, sie zeigen gerne Präsenz im Ausland, und wer glaubte, das seien unbelehrbare Mittvierziger, die noch in den 1980ern festhängen, der irrt.

Prügelei als Sport

Wer sich Aufnahmen aus Marseille ansieht, wo hauptsächlich Russen und Engländer aufeinandertrafen, wird eines Besseren belehrt. Jene jungen russischen Männer in kurzen Hosen und engen T-Shirts, die mit Quarzsand-Handschuhen, Teleskopschlagstöcken und Mundschutz Jagd auf Engländer machten, sind keine typischen Betrunkenen, die nach fünf Gläsern Bier ebendiese auf Polizisten und andere Betrunkene werfen. Es handelt sich um Männer, die bei der WM 1998 noch Kinder waren, manche waren vielleicht noch überhaupt nicht geboren. Damals wurde der französische Gendarm Daniel Nivel auf dem Höhepunkt einer tagelangen Gewaltwelle im Umfeld der WM-Spiele von deutschen Hooligans lebensgefährlich verletzt. Er leidet bis heute an den damals erlittenen Verletzungen.

Seit jenem tragischen Junitag in Lens wurde der Hooliganismus anlässlich diverser werbeträchtiger "Fußballfeste" dutzende Male totgesagt. Dutzende Male folgten neue "tragische Junitage" mit hunderten jungen Männern, die des Sports wegen auf Auswärtsfahrten oder Turniere fuhren – ihrer eigenen Version von Sport. So sind auch dieses Mal eigentlich alle vertreten, die etwas auf sich halten: Russen, Engländer, Deutsche, Kroaten, Ungarn. Für erlebnisorientierte Franzosen ist die Heim-EM ohnehin ein Fest, wie zuletzt in Nizza, wo Hooligans des lokalen Vereins in der Altstadt Nordiren und Polen angriffen. Und auch Österreicher sind mit von der Partie.

Reiseverbote als Heilmittel

Reaktionen von Uefa und Verbänden reichen dabei von Ignoranz bis demonstrativer Härte. Der russische Fußballverband wird laut Uefa-Urteil bei der nächsten Verfehlung russischer Fans im Stadion sofort vom Turnier ausgeschlossen. Wie viel Einfluss nationale Fußballverbände auf Subkulturen haben, die sich – vor allem in Osteuropa, aber nicht nur – vor Nachwuchs kaum retten können, ist fraglich. Die Zusammenarbeit mit den Behörden in Westeuropa funktioniert größtenteils gut. Registrierte Problemfans haben Meldeauflagen und Ausreiseverbote.

Dumm nur, dass die meisten Gewalttäter im Sportkontext nirgendwo registriert sind und selbstverständlich – da unbescholten – frei reisen dürfen. Die Polizei agiert oft überfordert und unbeholfen, und gelegentlich fragen sich sogar User in frei zugänglichen einschlägigen Foren und sozialen Medien, was man mit Hooligangruppen anfangen soll, deren Brutalität keine Grenzen zu kennen scheint. Das einzig Positive schien bisher zu sein, dass man zumindest im Stadion Ruhe vor solchen extremen Auswüchsen der Fankultur hatte – fast immer.

Ihre Meinung: Wie der Gewalt Herr werden?

Die Frage stellt sich, wie sich solche Exzesse im Vorhinein vermeiden lassen. Lange vor der Euro war davon die Rede, manche Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszutragen – wegen möglicher Terrorgefahr. Nun ist aber ein solches Turnier in erster Linie ein großes Fußballfest. Spiele ohne Publikum stünden dem entgegen – und, was den Veranstaltern besonders wichtig sein dürfte, sie lassen sich nicht gut vermarkten.

Müssen also die Verbände noch stärker in die Pflicht genommen werden und jene, deren Bemühungen nicht ausreichen, schneller von Turnieren ausgeschlossen werden? Könnten härtere Strafen und noch mehr Polizeipräsenz helfen? Das Risiko, zufällig in einer Prügelei oder Tränengaswolke zu landen, beeinflusst wohl auch die Fußball-Reisegewohnheiten ganz normaler Fans – wie halten Sie es damit? (jnk, 15.6.2016)