Paradox anmutende Nähe-Entfernungs-Verhältnisse bei "Climax" im Wiener Künstlerhaus.

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Wien – Hart wird es erst später, wenn sich die anfänglichen Kreistänze selbst sprengen, weil aus aufgeregten Körpern Spannungen schnalzen, die man im Alltag tunlichst kaschiert. Dann erhalten Leidenschaft, Aggression und Panik künstlerische Formen, die in Wellen auf ihre Zuspitzung hintreiben. So geschieht es in dem Stück Climax der israelischen Choreografin Yasmeen Godder, das die Wiener Festwochen derzeit im Künstlerhaus am Karlsplatz zeigen.

An diesem Schauplatz entspannt sich niemand wirklich, aber dem Publikum geht es trotzdem gut. Es ist hautnah an den sechs Tänzerinnen und Tänzern dran, es spürt ihren Atem oder ab und zu eine Berührung. Es wird also in das Geschehen hineingezogen – und bleibt dennoch in der Position des Beobachters. Das freilich in einer persönlichen Distanz zu den Performern, die unüberwindlich bleibt.

Wechselbad

Dieses paradox anmutende Nähe-Entfernungs-Verhältnis beschert allen Beteiligten intensive Erlebnisse. Diese emotionale Erfahrung wird durch einen Sturm einmal entfesselter, dann wieder eingefangener Zeichen – Gesten, Posen, Laute und Handlungsmuster – ergänzt. Sie teilen mit: Dieser Sturm ist eine Darstellung. Wäre er's nicht, gerieten alle Beteiligten wohl in veritable Krisen.

Es braucht viel künstlerische Erfahrung, um ein solches Wechselbad von Wahrnehmungseindrücken unter Kontrolle zu halten. Yasmeen Godder hat die nötige Reife, spielt sie aus und führt vor, was eine nichtliterarische Erzählung sein kann. Climax ist eine beinahe dreistündige Komposition aus abgewandelten, verzerrten und stilisierten Handlungen ohne Handlung im Sinn eines erzählerischen Aufbaus.

Alles Kitsch

Den Theaterraum hat Godder durch Ausstellungsräume ersetzt, denen die Ausstellung abhandengekommen ist. Als ironischen Ersatz gibt es unter anderem ein Klavier, eine Neonröhrenskulptur und eine Installation in einem Kämmerchen zu sehen. Auf dem Flügel wird nie gespielt (die Musik kommt vom Band), die Skulptur ist eher eine Requisite, und in der kleinen Kammer hängt ein Tiermonster über einem Boden aus allerlei Stoffzeug und Puppenköpfen. Alles Kitsch, inklusive des leerlaufenden Lichterspiels in einem zweiten Raum.

Diesen planvoll verstreuten und kombinierten Versatzstücken ähnlich sind die künstlich aufgeblasenen Aktionen der Tänzer: das Sichhineinsteigern, die Expressivität, einmal gar ein als solcher angekündigter und dann irgendwie verschlampter Teil aus einem früheren Werk der Choreografin. Viele Gesten und Posen wirken wie aus anderen Zusammenhängen gerissen, verformt und in eine Struktur übertragen, die sich dauernd verändert. Echt dagegen sind die Anstrengung, der Schweiß und das verunsichernde Verwischen der Grenzen zwischen Publikum und Performern.

Versuch idealer Ordnung

Immer wieder kehren die Akteurinnen und Akteure zum Motiv des Kreises zurück, immer wieder kommt der Versuch, diese ideale Ordnung herzustellen. Und bis zum Verebben dieses Bemühens hält die Auflösung der Utopie an. In zahlreichen Varianten suchen die sechs Körper sich zu einem Wesen zu verbinden, das tanzt, das sich in sich verklammert, doch konsequent zerstören sich diese Anläufe selbst: Das Miteinander muss ohne Verschmelzen funktionieren. Hier kommt keine Gemeinschaft zustande. Diese Erfahrung verbindet schließlich alle Anwesenden bei Climax. (Helmut Ploebst, 16.6.2016)