Union Jack: Nicht alle Briten in Österreich sind so vehemente Befürworter der britischen EU-Mitgliedschaft wie Wurstfabrikant Richard Holmes.

Foto: Andy Urban

"Sicher ist sicher", sagt Richard Holmes (31) aus Colchester in Südengland, seit zehn Jahren in Wien und von Berufs wegen Fabrikant hipper britischer Fleischwaren. "Ich will auf keinen Fall, dass meine Stimme verlorengeht." Darum schickt er seine Wahlkarte für das Brexit-Referendum am 23. Juni kostspielig per Einschreiben an die Wahlzentrale in London. "Ich habe mich bisher nie für Politik interessiert", sagt er. Aber diesmal gehe es um etwas: "Wenn Großbritannien aus der EU austritt, würden mein Leben und meine Arbeit hier viel komplizierter." Mehr als 90 Prozent der Expats denken so, schätzt er.

Freilich: Was ein Brexit, also der Austritt Großbritanniens aus der EU, für die laut Statistik Austria 9.975 britischen Staatsbürger zwischen Boden- und Neusiedler See tatsächlich bedeuten würde, vermag derzeit niemand so genau vorherzusagen. Alles Verhandlungssache, heißt es dies- und jenseits des Ärmelkanals stets.

Fest steht, dass ein Gutteil der Austrobriten gar nicht erst gefragt wird, wie sie es mit "Leave" (also EU-Austritt) oder "Remain" (Dabeibleiben) halten. Wer nämlich länger als fünfzehn Jahre im Ausland lebt, darf an britischen Wahlen und Referenden nicht teilnehmen. Wohl auch deshalb schreitet Schätzungen zufolge nur etwa jeder Zehnte der mehr als 1,5 Millionen Auslandsbriten in Europa zur Wahl. Österreichs Exil-Angelsachsen jedenfalls sind über diesen gesetzlichen Winkelzug wenig amused.

Gedankenspiele

"Ein EU-Austritt würde mich direkt betreffen, und ich darf nicht darüber abstimmen, weil ich ein Jahr zu lange in Wien bin", ärgert sich zum Beispiel Michael Bailey (38), Übersetzer aus dem südwestenglischen Taunton. In seinem Blog schwört er seine Landsleute in Österreich auf ein Remain ein. Zwar wäre ein Austritt für ihn kein existenzielles Problem, "aber wenn mein Sohn später einmal in Europa studieren will, könnte er es schwerer haben", erklärt er in nahezu akzentfreiem Deutsch. Er fühle sich zwar auch nach sechzehn Jahren in Österreich – erst als Sprachassistent in Schulen in Murau und Judenburg, später in Wien – als waschechter Brite, "ich würde mir dann aber schon Gedanken machen, ob ich nicht Österreicher werde."

Kein Wunder, dass man sich in den Expatzirkeln, in den Pubs und den Facebook-Gruppen der britischen Community hierzulande dieser Tage über kein anderes Thema so zu echauffieren weiß wie über das Referendum am 23. Juni. In den Chor der "Remainer" mischen sich aber auch Stimmen, die laut für Britannias Ausstieg aus der Union werben – und denen die bestehenden, von Kritikern gerne Extrawürste titulierte Sonderregeln für das Königreich nicht weit genug gehen.

Gleichmacherei

"Die EU will alle gleichmachen. Das mögen wir Briten nicht", sagt Jerry Hawkins (53), Gartengestalter aus dem britischen Überseegebiet Gibraltar, der seit 1989 in Neumarkt am Wallersee nahe Salzburg lebt – und an der Abstimmung nicht teilnehmen darf. Auf der Facebook-Seite der britischen Botschaft in Österreich macht er sich in seinen Kommentaren für ein Leave stark. "Wer sich mit dem Thema beschäftigt, sieht die Vorteile eines EU-Austritts", sagt er. Dass sich Großbritannien dann wieder stärker dem alten Commonwealth zuwenden könnte, sei nur einer davon. Die Medien zeichneten jedenfalls kein realistisches Bild und räumten dem Leave-Lager wenig Platz ein.

Dass sein Leben zu einem Spießrutenlauf würde, wenn er kein EU-Bürger in einem EU-Land mehr ist, hält er für ein Gerücht. "Ich habe schon hier gelebt, bevor Österreich Mitglied wurde. Alles, was passieren kann, ist, dass ich ein bisschen mehr Aufwand bei den Behörden habe."

Auch Marc Ramsey (45), ein Nordire, der in Wien als Berater arbeitet, denkt so. "Nach einem Brexit würde sich für mich persönlich nichts ändern", sagt er. In der EU ortet er "einen Drang in Richtung Vereinigte Staaten von Europa", die Folge sei die "Erosion der nationalen Souveränität." Und der könne er auch nach zwanzig Jahren in Österreich nichts abgewinnen. Ein Austritt stelle daher eine Chance für die Union dar, "wieder die Handelsgemeinschaft zu werden, als die sie ursprünglich geplant war." Zudem wolle ohnehin niemand die Bande zu Europa ganz kappen, glaubt er.

Optimistische Prognose

"Den Eurotunnel würden sie ja dann doch nicht abreißen", hofft auch EU-Befürworter Bailey. Und Richard Holmes, der von seiner Wohnung am Wiener Spittelberg aus neuerdings nicht mehr nur für seine "Britwurst", sondern auch für ein Remain wirbt, kann ohnehin nicht so recht glauben, dass sich seine Landsleute hierzulande und zu Hause für den Austritt entscheiden. Sein Tipp? "65 zu 35 Prozent für unseren Verbleib in der Europäischen Union." (Florian Niederndorfer, 18.6.2016)