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Die "Eiserne Lady" Margaret Thatcher prägte in den 1980er-Jahren wesentlich das komplizierte Verhältnis ihres Landes zur EU und den Partnern.

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Für Nachfolger David Cameron war die 2013 gestorbene Ex-Premierministerin das große Vorbild.

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Von acht Premierministern, die das Vereinigte Königreich in 43 Jahren EU-Mitgliedschaft regierten, ist David Cameron aus Sicht der EU-Partner einer der Unbedeutenden. Das wird sich ändern, so oder so.

Einer seiner Vorgänger, Edward Heath, war sehr respektiert. Der gemäßigte Konservative hat sein Land 1973 gegen Widerstände in der eigenen Partei im zweiten Anlauf zum EWG-Beitritt geführt. Den ersten Anlauf hatte Frankreich 1963 verhindert, weil die Briten das Ziel der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ablehnten.

Unter Heath wurde mit dem ehemaligen Weltreich – nun ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, Atommacht, neben den USA die starke Militärmacht in der Nato – ein neues Kapitel in der Machtarchitektur der Europäischen Union eröffnet. Diese "Norderweiterung" (auch Irland und Dänemark traten bei) stärkte die Gemeinschaft durch besondere Freihändlertradition.

Blair, der moderne Sozialist

Tony Blair war in Brüssel beliebt. Der moderne Sozialist, strahlender Herold des "Dritten Wegs" zwischen Kapitalismus und Sozialismus und ab 1997 Premier, präsentierte sich in zehn Jahren Amtszeit (zumindest zu Beginn) als sehr europafreundlicher Premier. Er versprach 1998 sogar den Beitritt zur Währungsunion, Euro statt Pfund, was er – wie vieles – nie einlöste.

Noch mehr Eindruck als Blair hinterließ nur Margaret Thatcher. Sie war so umstritten wie gefürchtet. Die Eiserne Lady der Tories regierte (ab 1980) mehr als ein Jahrzehnt lang. Sie war erst Kriegsherrin (Falkland), drückte der Welt (im Verbund mit US-Präsident Ronald Reagan) den Stempel der Wirtschaftsliberalisierung auf. Vor allem aber war sie in der EU beinharte Kämpferin für britische Interessen. Ihre schneidenden Worte fürchteten sogar François Mitterrand und Helmut Kohl, beide nicht minder machtbewusst, Langzeitpräsident von Frankreich der eine, "Jahrhundertkanzler" der Deutschen der andere.

"I want my money back"

Legendär wurde "Maggie" mit der Forderung "I want my money back", als sie den milliardenschweren "Britenrabatt" im EU-Budget herausschlug, weil die Briten von der gemeinsamen Agrarpolitik viel weniger profitierten als andere. Thatcher war der Gegenpol für gemütsbewegte "Proeuropäer" wie Kohl, ihr Weltbild vom Sieg über Hitlerdeutschland geprägt. Sie kämpfte 1989 gegen die deutsche Wiedervereinigung. Aber sie wollte politisch immer "mitspielen" in Europa. Das Volk zum EU-Austritt zu befragen wäre der Lady so nicht in den Sinn gekommen. "Keep America in, Germany down, Russia out", war ihre Devise: bestimmen, nicht abhauen.

Sowohl ihr direkter Nachfolger John Major wie auch Gordon Brown, der glücklose Nachfolger von Labour-Chef Tony Blair 2007, waren frei von größeren strategischen Perspektiven. Sie waren bemüht, aber doch Übergangspremiers.

Ironie der Geschichte: Unter Major und Brown wurden zwei wichtige EU-Verträge abgeschlossen, die die skeptisch beäugte "Politische Union" unter Einschränkung nationaler Souveränität begründeten (Maastricht 1991, Lissabon 2009). Die Briten bekamen viele Ausnahmen: Die Teilnahme am Euro, offenen Grenzen (Schengen), gemeinsamer Politik zu Justiz und innerer Sicherheit sind für London nur eine Option.

On-off-Beziehung

Pragmatismus gegen Pathos und Idealismus: Großbritannien und EU, das war von Anfang an eine heftige On-off-Beziehung. Kritik an zu großer Macht der EU-Institutionen gab es immer. London war vor allem an der Wirtschaftsgemeinschaft interessiert und daher an der EU-Erweiterung um möglichst viele Staaten nach Mittel- und Osteuropa. Sie kamen 2004 und 2007 dazu.

Offensive EU-Gegnerschaft wurde von Einzelfiguren ausgelebt, wie vom Milliardär James Goldsmith in den 1990er-Jahren; oder an den radikalen Flügeln beider großen Parteien – Labour wie Tories. Ernst wurde es beim Thema Brexit erst, als die Unabhängigkeitspartei (Ukip) von Nigel Farage 1999 ins EU-Parlament einzog und frontal auf Austrittskurs ging. Der Druck auf die Konservativen stieg. Aber das Ausscheiden aus der EU zu riskieren, die Dekonstruktion der nach dem Zweiten Weltkrieg langsam gewachsenen Wirtschafts- und Machtbalance von heute 28 EU-Mitgliedsstaaten, dazu brauchte es David Cameron. Indirekt wäre auch die Nato, das transatlantische Bündnis mit den USA, betroffen, die für die EU de facto die Sicherheitspolitik erledigt. Der Absolvent der Eliteuniversität Oxford (wo er Kumpel des späteren Londoner Bürgermeisters Boris Johnson war, der nun vehement für den Brexit kampagnisiert, um Cameron zu stürzen) wurde nach dem Studium Berater von Thatcher und Major. Die "Lady" war sein großes Vorbild – aber machtpolitisch war er ihr schlechter Schüler. Die Sache mit dem Brexit ist dem gemäßigten EU-Befürworter quasi "passiert".

Nach der dritten Wahlniederlage der Tories in Serie gegen Blairs Labour-Partei im Jahr 2005 trat Parteichef Michael Howard zurück. Nachfolger wurde überraschend der erst 39-jährige Cameron. Um die EU-Skeptiker in den eigenen Reihen zu gewinnen, machte er "Zugeständnisse" – und den ersten Kardinalfehler: Er verkündete, dass die Tories nach den EU-Wahlen 2009 aus der proeuropäischen Fraktion der Volkspartei (EPP) im EU-Parlament austreten. Sie gingen mit der EU-skeptischen polnischen PiS in eine Fraktion.

Das versprochene Referendum

2010 gewann Cameron knapp die britischen Wahlen, Premier wurde er nur in Koalition mit den Liberalen. In der Wirtschaftskrise seit 2008 wuchs die EU-Gegnerschaft bei den Tories. Bis dahin strikter Gegner des Brexit, versprach Cameron nun, bis spätestens Ende 2017 ein EU-Referendum abzuhalten, sollte er die nächsten Wahlen gewinnen. Im Juni 2015 schaffte er eine riesige Mehrheit im Unterhaus – und war in Sachen Brexit-Abstimmung in der Pflicht. Nach monatelangen Verhandlungen mit den EU-Partnern ließ er sich vergangenen Februar einige (nicht so bedeutende) EU-Ausnahmeregelungen und nationale Kompetenzen bestätigen (etwa bei der Sozialhilfe für EU-Ausländer). Und er ordnete ein rasches EU-Referendum am 23. Juni 2016 an.

Für die "Remain"-Empfehlung zeichnete er allein verantwortlich. EU-Partner wurden gebeten, die Insel zu meiden, nicht einzugreifen. Aber Camerons Kampagne zum Verbleib lief nicht so gut wie erhofft: Alles ist möglich. Wenn die Briten die EU verlassen, würde die Architektur in Europa unter deutsch-französischer Dominanz umgekrempelt, das UK müsste um bilaterale Verträge kämpfen. Bleiben sie, wird die Debatte um EU-Reformen erst recht losgehen. Und Cameron? Entweder wird er bald Premierminister gewesen sein oder als letztlich starker Regierungschef in die Geschichte eingehen. Ein riskantes Spiel. (Thomas Mayer, 19.6.2016)