Die viertürmige Burg Bratislava thront auf einem Felsen 85 Meter über dem linken Ufer der Donau. Unter den Habsburgern war die Stadt Pressburg zeitweilig Hauptstadt des Königreichs Ungarn.

Foto: Robert Newald

Michal Hvorecký (39) ist ein slowakischer Schriftsteller und Journalist.

Foto: www.literaturfoto.net / Marko Lipus

Seit mehr als einem Jahr kriege ich fast täglich zahlreiche extreme Hasspostings und höre die Sprüche der Ausgrenzung. Regelmäßig kursieren im Netz mit Photoshop bearbeitete Bilder, auf denen ich besonders schlecht aussehe und die selbstverständlich keinen Urheber haben, mit frei erfundenen Zitaten, Sätzen, von denen behauptet wird, dass sie von mir stammen, die ich aber natürlich nie geäußert habe.

Mit großen Zähnen äußere ich mich für noch mehr Millionen Flüchtlinge, mit einem dummen Blick wünsche ich mir einen IS-Angriff auf Europa, und mit den aufgeregten Augen träume ich, dass alle meine Landsleute Schwule oder Lesben werden und wie Conchita Wurst aussehen.

Einmal habe ich versucht zu verfolgen, wie schnell und wie oft so ein Foto verbreitet wird. Es ist fast gleichzeitig auf mehr als siebzig unterschiedlichen Facebook-Profilen erschienen, meistens auf den neonazistischen Seiten, aber auch auf Webs der religiösen und nationalistischen Fanatiker. Immer wieder dieselben Hassbotschaften werden auch auf den fiktiven Profilen erfundener Personen gepostet, die für das obsessive Trolling benutzt werden.

Nestbeschmutzer und Verschwörer

Die Originalquelle zu entdecken war unmöglich. Mal bin ich da ein Landesverräter, dann ein Ausländer, jedenfalls ein Nichtslowake, ein Drogensüchtiger, Transgender oder Intersexueller, und am offensten – wie sonst – ein Jude. Mal bezahlt mich der Mossad, ein anderes Mal die CIA, dann wieder die LGBT-Lobby oder George Soros.

Auf jeden Fall verdiene ich, so meine besonders schlechten Bilder, unglaubliche Mengen an Geld als Nestbeschmutzer von Rang, ein international vernetzter Verschwörer. Mehrmals wurden gegen mich auch starke Gewaltfantasien ausgelöst.

Manchmal lachen ich und meine Ehefrau darüber, aber letztlich eher selten. Ich kann damit nicht gelassen umgehen. Oft bin ich sprachlos, und, ich gebe zu, auch beängstigt. Ich weiß, dass sich die Gegner gerade das wünschen, aber mir fehlt vielleicht noch die lebenslange Übung in Ruhe im Fall einer Bedrohung oder medialen Manipulation. Was ist so Hassenswertes an mir? Habe ich das überhaupt schon verdient?

Ich schreibe Romane, und ein paar Bücher, die ich besonders liebe, übersetze ich aus dem Deutschen ins Slowakische, zuletzt ein Werk des österreichischen Autors Martin Pollack. Ich organisiere Lesungen und arbeite in einer Bibliothek.

Ja, ich äußere mich manchmal zu öffentlichen Fragen der slowakischen Gesellschaft, vor allem zu Bildung und Kultur, ich stand mehrmals auf der Bühne beim Lehrerstreik in Bratislava, auch bei Gay Prides oder kleinen Kundgebungen für menschliche Asylpolitik. Aber reicht das inzwischen, um ständig mit der Vertreibung aus der Heimat oder sogar mit dem Tod bedroht zu werden?

Offensichtlich ja, und zwar, weil ich einer Minderheit angehöre – einer kleinen, aber klaren Minderheit gegen den Rechtsextremismus. Diese mir so wichtige Minderheit der Slowaken ist weltoffen und würde sich nie mit ausländerfeindlichen und antiintellektuellen Hetzern verbinden.

Hass ist allgegenwärtig

Viele meiner Landsleute, die weiterhin eine solidarische Zivilgesellschaft verteidigen, kriegen ähnliche Hasspostings oder noch schlimmere. Der Hass ist zurzeit in der Slowakei allgegenwärtig, online sowie offline, und er brach nicht plötzlich auf, er wurde gezielt und geplant gezüchtet. Die Aggressivität bleibt hoch. Das ist bedrückend und befremdlich.

Im Netz scheint es eine drohende riesige Katastrophe zu sein, doch in der Wirklichkeit hat die Slowakei überhaupt kein Problem mit Flüchtlingen, die werden einfach nicht reingelassen, sondern ein riesiges Problem mit den eigenen Emigranten.

Mehr als zweihunderttausend Slowaken verließen in letzten zehn Jahren ihre Heimat, davon Tausende Richtung Österreich. Nur 14 Ausländer erhielten im Jahr 2014 Asyl in meiner Heimat und im Jahr zuvor 15! Die Slowakei kannte über Jahrzehnte nicht den umfangreichen Zuzug aus anderen Nationen und Kulturen.

Das Zusammenleben mit Menschen mit Migrationshintergründen ist völlig unbekannt, aber trotzdem, oder gerade deswegen, werden sie gehasst – und auch alle, die sich mit ihnen solidarisieren.

Die Populisten und Nationalisten sind so unendlich langweilig! Slowakei zuerst. Österreich zuerst. Wir müssen die Sorgen der Slowaken ernst nehmen. Wir müssen die Sorgen der Österreicher ernst nehmen. Unsere wunderbare Slowakei. Unser wunderbares Österreich ... Warum nie Europa zuerst? Warum nie unser wunderbares Europa und die gemeinsamen europäischen Sorgen?

Teil beitragen

Ich will nicht zu dem werden, den die Hassenden aus mir machen wollen. Ich bin der Meinung, dass auch die Slowakei in der Flüchtlingskrise ihren Teil beitragen soll. Man kann das europäische Projekt nicht zusammenhalten, wenn jedes auch noch so kleine Land nur an sich selber denkt und die Lösung der großen Herausforderungen der Gegenwart aus nationalem Egoismus verhindert. Sonst droht uns tatsächlich der Kollaps.

Aber der slowakische Premierminister, der von sich behauptet, ein Sozialdemokrat zu sein, klingt viel mehr wie Norbert Hofer als Alexander Van der Bellen. Auch wegen seiner Tiraden gegen Migranten und seiner nationalistischen Ressentiments scheut sich eine Mehrheit von meinen Mitbürgern nicht, ihre ungehemmte Feindseligkeit offen und kollektiv spazieren zu führen.

Jetzt kenne ich den Hass und kann ihm klar widersprechen. Nur mit viel Mut, mit der Suche nach Wahrheit statt Lügen-Postings und medialer Manipulation, mit Argumenten statt Parolen lässt sich der Traum von Europa noch verwirklichen. (Michal Hvorecký, 20.6.2016)