Wien – Die Saallichter sind soeben ausgegangen im Wiener Theater Akzent. Eine einschmeichelnde Stimme aus dem Off bittet in italienischer Sprache um Gehör. Sie gehört dem Theatermacher und Filmer Pippo Delbono. Seine Theaterrevue Orchidee bildet einen wehmütigen Abgesang auf die Errungenschaften linker Kultur. Im Land, wo die Zitronen blühen, üben sich Künstler wie Delbono in säuerlicher Zerknirschung. Orchidee ist ein Stück ohne Anfang und Ende. Als solches gleicht es noch am ehesten einer szenischen Verlustanzeige. Beklagt wird die schlechte Einrichtung der Welt. "Die großen Worte" des Theaters zerfallen dem freundlichen Showmaster wie modrige Pilze im Mund.

Delbono ist ein vierschrötiger Mann von katzengleicher Behändigkeit. Sein Abend gleitet zwei einschläfernde Stunden lang von Szenenbild zu Szenenbild. Weil Orchidee keiner herkömmlichen Dramaturgie folgt, kommt dieser ligurische Prospero vom Hölzchen aufs Stöckchen. Der Beamer stockt, wenn das Konterfei Berlusconis auf dem Bildschirm erscheint. Man kann dem hochsensiblen Gerät seine Empfindlichkeit nicht verübeln.

Die Zeiten? Bleiben heillos. Das Theater ist verkommen. Sexuelle Minderheiten werden ausgegrenzt, das menschliche Fleisch verwelkt frühzeitig, sozial Benachteiligte landen auf der Straße. Es ist kein Wunder, dass u. a. die Geister Pasolinis und Hamlets durch diesen Festwochen-Abend spuken. Delbono punktet immer dann, wenn der schiere Übermut von ihm als Ausdruckstänzer Besitz ergreift. Liebe Nackte hüpfen im Kreis, eine vage Erinnerung an Pina Bausch wird dann mit Händen greifbar. Ein "weicher" Sozialismus der Herzen wird hier propagiert. Universelles Engagement soll uns alle zu Schwestern und Brüdern machen. Im Kitsch vereint? Man sehnt sich nach einem Marx-Lesekreis. (Ronald Pohl, 17.6.2016)