Phänomenal in Form: Sopranistin Anna Netrebko als Manon an der Wiener Staatsoper.

Foto: Pöhn

Wien – Es begab sich 2014, dass Anna Netrebko während der Proben zu Puccinis Manon Lescaut (Bayerische Staatsoper) aus der Produktion ausstieg – mit Regisseur Hans Neuenfels wollte es nicht so recht bezüglich der Rollendefinition des armen reichen Mädchens Manon klappen. Was immer passiert war, am mangelnden Engagement der Sopranistin wird es kaum gelegen sein.

Auch ein "normaler" Repertoireabend (Wiener Staatsoper) demonstriert Netrebkos Bereitschaft wie Fähigkeit, sich facettenreich auf Rollen einzulassen. Als Manon war sie im Haus am Ring das unschuldig-verliebte Mädchen ebenso wie die Luxusdiva im Scheinwerferlicht. Und auch die Verwandlungen in eine gedemütigte Frau wie auch in die in Todesnähe ihr Leben Reflektierende zeugten vom Durchdringen des darzustellenden Charakters.

Solch Engagement verschmilzt (in dieser Einkaufspassage-Inszenierung von Robert Carsen) zudem mit der Einzigartigkeit dieser Stimme: Auf Basis einer dunklen vokalen Ausstrahlung setzt Netrebko lyrische Rufzeichen und platziert einzelne Töne – ob im Forte oder Pianissimo – mit Leichtigkeit gleichsam in Bereichen des Unvergesslichen. Timbrezauber, Sicherheit und Intensität sind fernab von Selbstzweck dann auch einfach Aspekte einer profunden Rollengestaltung.

Um Netrebko herum Solides: Das wären der Chor, David Per-shall (als Lescaut), Marcello Giordani (der als Des Grieux nach Problemen die meisten Spitzentöne strahlend-effektvoll über die Rampe brachte) und Wolfgang Bankl (als Geronte). Kein Unterstützer vokaler Feinheiten im Orchestergraben: Dirigent Marco Armiliato, ein bisschen vom Überengagement befallen, ließ das gut disponierte Staatsopernorchester sein Können mitunter allzu mächtig ausspielen. Applaus dennoch – für alle. (Ljubisa Tosic, 21.6.2016)