Ist mit Finnisch, Ungarisch und Deutsch aufgewachsen: Henrik Szanto. "Es war purer Zufall", sagt der Autor und Slam Poet. Für ihn sind Nationalität und Herkunft nur "zufällige, geografische Marker".

Foto: Jonas Scheiner

Henrik Szanto gibt Einblick, wie ihn seine kulturelle und sprachliche Vielfalt als Autor beeinflusst, welche seine Un- und Lieblingswörter sind und warum ihn die Konzepte Nationalität und Herkunft nicht überzeugen. Und er verrät, welche Rolle ein sonnenbebrilltes Einhorn in unserer Leistungsgesellschaft hat. Linguamulti-Bloggerin Zwetelina Ortega stellt die Fragen.

Ortega: Henrik, wie hat es mit dem literarischen Schaffen angefangen?

Szanto: Ich habe als freiberuflicher Texter angefangen und hauptsächlich Produktbeschreibungen verfasst. Ich könnte auf 80 Arten aufschreiben, warum ein Hocker attraktiv und kaufenswert ist. Was ich aber immer wollte, war, Geschichten zu erzählen. Recht früh, mit 15 Jahren, habe ich entschieden, Schriftsteller zu werden. Alle haben mich für verrückt gehalten, in einem unkonventionellen Bereich zu arbeiten, der nach außen keine monetäre und gesellschaftliche Sicherheit vermittelt. Es ist also nicht verwunderlich, dass mir meine Mitmenschen Skepsis entgegenbringen. Zumal ich am Anfang stehe, in diesem Jahr ist mein erstes Buch erschienen.

Ortega: Wieso musste es Slammen sein?

Szanto: 2012 habe ich den Poetry Slam kennengelernt. Davor habe ich Kurzgeschichten und Romanfragmente geschrieben. Vom Poetry Slam war ich begeistert. Ich habe begonnen, mich intensiv damit zu beschäftigen. Nach etwa einem Jahr kamen dann Einladungen zu großen Veranstaltungen und die ersten Gagen. Mit der Zeit hat es sich so ergeben, dass ich von den Aufträgen, die sich um das Slammen drehten, leben konnte. Mit einigen Kollegen wurde der Kulturverein FOMP gegründet. Wir veranstalten Events mit dynamischer Bühnenliteratur und Bühnenkunst.

Ortega: Du bist mit Finnisch, Ungarisch und Deutsch aufgewachsen. Wie kam es dazu?

Szanto: Es war purer Zufall. Mein Vater kommt ursprünglich aus Ungarn, meine Mutter aus Finnland. Sie beide haben sich in Deutschland, im beruflichen Kontext, kennengelernt, sich gemeinsam selbstständig gemacht. Als Kind hat mein Vater mit mir nur Ungarisch gesprochen, meine Mutter nur Finnisch, miteinander haben sie Deutsch gesprochen oder Englisch, wenn sie nicht wollten, dass ich sie versehe. Schon bald hatte ich sie aber durchschaut. Ihre Geheimsprache war natürlich spannender als alles andere – getrieben durch meine Neugier habe ich mir auch das Englische angeeignet.

In meinen ersten fünf Lebensjahren war ich mit meinen Eltern viel unterwegs. Wir waren in Finnland, dann in England. Meine Eltern haben in ganz Europa Geschäftskontakte geknüpft, und ich war mit dabei. In der Schulzeit bin ich in einer Kleinstadt in Bayern aufgewachsen. Es war spannend, als "Nicht-mal-Deutscher" dort groß zu werden. Mein Kunstlehrer hatte sich zum Beispiel eingebildet, ich sei Italiener. Er hat mir nie verziehen, dass ich ihn über seinen Irrtum aufklärte und meinen Nachnamen als ungarisch identifizierte.

Ortega: Du vereinst in dir drei Kulturen. Welche Rolle spielen sie und die Mehrsprachigkeit in deinem literarischen Schaffen?

Szanto: Natürlich thematisiere ich diese Aspekte in den Figuren meiner Texte, aber nicht autobiografisch. Sich zugehörig fühlen zu Menschengruppen, zu Ansichten und Identitäten – das ist auf jeden Fall etwas, das mich literarisch beschäftigt. In meinem Roman zum Beispiel geht es um die Zugehörigkeit zu einer Leistungsgesellschaft. Und in dem Buch, an dem ich gerade schreibe, gibt es eine Figur, die einen europäisch-ungarischen Kontext hat, eine andere einen marokkanisch-afrikanischen. Sie beide sind als Kinder geflohen und wachsen in Westeuropa auf. Da geht es mir oft um die Zugehörigkeit und was sie bedeutet. Nationalität und Herkunft sind zufällige geografische Marker. Ich bin in so unterschiedlichen Kontexten aufgewachsen, ich habe drei Nationalitäten samt zugehörigem Pass – ich bin eine Umstandsmischung aus europäischen Einflüssen.

Ortega: Deine Antwort auf die Frage "Woher kommst du?"?

Szanto: Meine schnelle Antwort ist: "Ich bin Finne." Dann kommt meistens "Oh, du siehst gar nicht so aus" und "Du sprichst echt gut Deutsch". Dann sage ich: "Danke, du auch."

Ortega: Deine Bühnentexte sind politisch und gesellschaftskritisch. Deine Botschaft?

Szanto: Zwischenmenschliches Vertrauen, der Verzicht auf Ablehnung und Ausgrenzung. Alles, was ich schreibe, setzt sich in irgendeiner Weise damit auseinander.

Ortega: Wenn du einer Politikerin oder einem Politiker das Handwerk legen könntest, ohne dass er oder sie körperlichen oder seelischen Schaden nimmt, wer wäre es?

Szanto: Oh, da gibt es einige. Mein erster Gedanke war Erdoğan.

Ortega: Welche sind deine persönlichen Unwörter?

Szanto: Synergie und Gutmensch.

Ortega: Deine Lieblingswörter?

Szanto: Kleinod, Heimat und Kaskade.

Ortega: In diesem Jahr ist dein Debütroman "Es glänzt und ist schön" erschienen. Worum geht es?

Szanto: Die Rahmenhandlung ist eine Praktikumsmesse mit einem Wettbewerb, bei dem man ein Praktikum in einem Topunternehmen gewinnen kann. Der Protagonist ist der Student Ben. Er arbeitet als Kindergärtner in einer heilpädagogischen Einrichtung und hat als imaginären Freund "das Einhorn", das in Fußnoten lebt und auch darin die Geschichte kommentiert. Das sonnenbebrillte Einhorn hilft dem Protagonisten, mit seinem Leben klarzukommen. In erster Linie geht es ums Erwachsenwerden und um den Umgang mit Fantasie. Im Laufe der Geschichte setzt Ben sich mit unterschiedlichen Fragen auseinander: Wer möchte ich sein? Was bin ich bereit, in dieser Gesellschaft zu leisten? Das Einhorn ist eine Metapher. Es ist sprunghaft und zeitweise zynisch, es macht sich lustig über Popkultur und über sich selbst. Ben denkt immer wieder daran, wie er früher als Kind war, und fragt sich, was aus den kindlichen Berufswünschen geworden ist und wie man sie tatsächlich umsetzt. (Zwetelina Ortega, 27.6.2016)