Zunächst die gute Nachricht: Immer häufiger berichten Lehrkräfte – meist anonym – über die oft katastrophalen Zustände an ihren Schulen vor allem im städtischen Bereich, entweder online oder in den Printmedien. Offenbar nehmen die Sympathien für die über Gewalt, vernachlässigte Kinder, massive Sprachdefizite oder mangelndes Benehmen klagenden Lehrer zu.

In einer Zeitung, die für ihr Lehrerbashing bekannt ist, war unlängst sogar ein Hauch von Empathie zu spüren: "Diese Lehrer brauchen Unterstützung" lautete die Schlagzeile (Österreich, 7. Juni 2016). "Die Lehrer" sind endlich einmal nicht alle faul, unfähig und haben zu viel Ferien und Einkommen. Vielleicht zeichnet sich hier ein Paradigmenwechsel ab: In der Schule gibt es nicht einfach Opfer (die Schüler) und Täter (die Lehrer), sondern handelnde Personen, die in ihrer Vielfalt nicht etikettiert werden sollten.

Nun die schlechten Nachrichten. Das Schweigen wird wohl weitergehen. Einzelne Schulen wollen ihrem Ruf nicht schaden, Lehrer sind angehalten, den Mund zu halten, die Politik ist mehr an Schönreden, Verharmlosen und Ignorieren der Probleme interessiert. Ein Hauptproblem scheint mir die Überforderung der Lehrkräfte vor allem aufgrund der Heterogenität der Klassen zu sein.

Wolf Müller-Limmroth hat bereits in den 1980er-Jahren die Situation der permanenten Überforderung durch das Bild einer Wanderung veranschaulicht: "Wahrscheinlich gibt es nicht viele Berufe, an die die Gesellschaft so widersprüchliche Anforderungen stellt: Gerecht soll er sein, doch taktvoll auf jedes Kind eingehen, Begabungen wecken, pädagogische und Erziehungsdefizite der Elternhäuser ausgleichen, Sucht-Prophylaxe und Aids-Aufklärung betreiben, auf jeden Fall den Lehrplan einhalten, wobei hochbegabte Schüler und Schülerinnen gleichermaßen zu berücksichtigen sind wie begriffsstutzige. Mit einem Wort: Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände in nord-südlicher Richtung zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei verschiedenen Orten ankommen" (Zürcher Weltwoche, 2. Juni 1988).

Das Ergebnis: In Klassen wird wenig oder nur sehr wenig gelernt. Die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten bleibt auf der Strecke. Die Lehrkräfte, die trotz aller Reformen immer noch in den meisten Fällen völlig auf sich allein gestellt sind, sind anfällig für Erschöpfung, Resignation oder Burnout. Diesbezügliche Zahlen werden nicht oder selten veröffentlicht.

Vorschläge für Verbesserung gäbe es viele: ein nüchternes Lokalisieren der "Brennpunktschulen", dann eine besondere finanzielle und personelle Zuwendung für diese statt Gießkannensystem. Ein Unterstützungssystem von Sozialarbeitern, Stützlehrern und Psychologen an jenen Schulen mit dem Ziel, dass die Lehrer endlich das tun können, wofür sie vor allem ausgebildet worden sind: nämlich unterrichten. Eine Bildungsdiskussion, in der keine Schlagwörter und altbekannte Argumente aufgewärmt werden, sondern die Verbesserung der Qualität des Unterrichts im Mittelpunkt steht. Faire Entlohnung für Deutschlehrer, die Kurse für Menschen mit nichtdeutscher Muttersprache anbieten (Eduard Gugenberger, "Deutschkurse als Weg zur Integration", DER STANDARD, 13. Juni 2016). Weniger Parteipolitik und parteipolitische Besetzungen. Alle Parteien bekennen sich zu Leistungsorientierung bei möglichst großer Chancengleichheit. Noch mehr Geld für Frühförderung. Rigorose Aufnahmetests für Lehramtsstudierende und Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Ausbildung an Pädagogischen Hochschulen und Universitäten. Die Lehrkräfte und Direktoren zu Wort kommen lassen statt "Maulkorb-Erlass" (Die Presse, 16. März 2016). Der ist eines modernen demokratischen Rechtsstaats und einer kritischen Öffentlichkeit unwürdig.

Die neue Unterrichtsministerin plädiert im Namen der Chancengerechtigkeit für mehr soziale Durchmischung der Schulen. Das würde wohl zwei Effekte haben: noch mehr Heterogenität in den Klassen und die verstärkte Flucht der akademischen Mittelschicht in die Privatschulen, wie das in den USA zur Zeit des "desegregation busing" der Fall war (Kurz Scholz, Die Presse, 14. 6. 2016).

Zuletzt noch eine kleine schlechte Nachricht: Die Chancen auf Umsetzung sind nahe bei null. Weil der politische Wille fehlt. Weil (angeblich) das Geld fehlt. Weil es lustiger ist, noch weitere zwanzig Jahre über die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen und die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern zu streiten. Auch so kann man die Zukunft eines Landes verspielen. (Georg Cavallar, 23.6.2016)