Die Höchstrichter und die Bundespräsidentenwahl: Panoptikum österreichischer Mentalität

Foto: Fischer

Gibt es derzeit überhaupt noch ein Thema abseits von Brexit, den Folgen ("die spinnen, die Briten"), Fußball (schon wieder die Briten out)? Ja, doch – hier in Österreich haben wir uns tagelang über die Schlampereien bei der Bundespräsidentenwahl echauffiert. Nicht nur "wir" in den Medien, auch in den sozialen Netzwerken gingen die Wogen hoch.

Da wurde ausgezählt, ohne, dass Wahlzeugen anwesend waren, da wurden Sitzungen anberaumt, zu denen keiner kam, man verständigte sich schon im vorhinein mit Vertretern aller Parteien darauf, dass man nicht ganz gesetzesbuchstaben-getreu vorgehen werde, Briefwahlkuvert-Schlitzmaschinen standen ganz woanders als ausgezählt wurde, und so weiter, und so fort.

Es war ein schönes Panoptikum österreichischer "irgendwas geht immer"-Mentalität, das da bei der öffentlichen Zeugeneinvernahme durch die Höchstrichter aufmarschierte.

Deppen der Nation

Dennoch ist Zeit, dass sich jetzt alle wieder ein wenig beruhigen und die Kirche, respektive die Wahlurne, im jeweiligen Dorf lassen. Was nämlich zu bedenken ist: Es sind im Grunde die schwächsten Glieder in der Verantwortungskette um die Auszählung der Bundespräsidentenwahl, die jetzt als die Deppen der Nation dastehen. Das ist in hohem Maße unfair.

Niemand, auch kein Wahlzeuge der FPÖ, hat vor dem Verfassungsgerichtshof ausgesagt, es wäre manipuliert worden. Es hat auch niemand für möglich gehalten, dass manipuliert worden sein könnte. Man kann, bei ein wenig gutem Willen, den Wahlhelfern zugute halten, dass es erstens ein recht undankbarer und auch unbedankter Job ist, den diese an Wahlsonntagen ehrenamtlich tun.

Unter Zeitdruck

Dass sie zweitens ihr bestes gegeben und nach bestem Wissen und Gewissen (und nach Beratung mit den Bezirkswahlbehörden) gehandelt haben und drittens gar nicht anders konnten.

Denn was bei den Befragungen auch deutlich zutage trat war der Zeitdruck, der auf allen Wahlbezirken lastete. Die oberste Wahlbehörde, das Innenministerium in Wien, erwartete Ergebnisse, und das möglichst rasch – nicht zuletzt, um dem neu angelobten Innenminister Wolfgang Sobotka nicht gleich den Live-Einstieg in der ZiB1 zu versauen. Dies sagten, mehr oder weniger deutlich, mehr oder weniger eloquent, viele der befragten Zeugen, vom Bürgermeister über Bezirkshauptmänner bis hin zu Wahlzeugen aus.

Und sie sagten auch, sie hätten ihre Bedenken an die jeweils höhere (Landes-)wahlbehörde weitergegeben. Tenor: Das wird schwierig, bei so vielen Wahlkarten wie noch nie. Von dort sei aber immer, gleichlautend, zurückgekommen, es müsse trotzdem möglich sein.

Ahnungslos

Insofern mutet es befremdlich an, dass der sonst so nette Leiter der Bundeswahlbehörde, Robert Stein, am VfGH so gar nicht nett zu den kleineren Beamten in den Bezirkswahlbehörden ist. Nie wollte er etwas von einem "Druck von oben" gewusst haben, stets beteuerte er, vermeintlicher medialer Druck bezüglich eines raschen Endergebnisses sei seiner Behörde sowas von egal – das glaubten, den Reaktionen zufolge, wohl nicht einmal die Verfassungsrichter.

Einen wohltuenden Kontrast dazu bildete etwa der Bezirkshauptmann von Graz-Umgebung, der sich vor die ehrfurchtgebietenden Damen und Herren im Talar hinstellte und sagte: "Ich übernehme die Verantwortung, es war nicht anders möglich rasch auszuzählen." Deshalb habe er die Wahlkarten von seinen Beamten zählen lassen, deshalb hätten die Wahlzeugen erst im nachhinein kontrolliert.

Verantwortungsvoll

Der Mann wusste, was er hier sagte, er muss – wie auch viele andere Zeugen, wie auch jene, die von der FPÖ nominiert wurden, mit einem Strafverfahren rechnen. Die Freiheitlichen, die sich hier als Hüter des Rechtsstaats gerieren, haben letztlich auch ihre eigenen Wahlhelfer in den Dörfern und Gemeinden vorgeführt.

Die Beliebtheit des Wahlzeugen-Jobs wird dieses Schauspiel nicht gerade erhöhen. (1.7.2016, Petra Stuiber)