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In Deutschland haben 15 von 16 Bundesländern ein zentrales Abitur, in Österreich fand heuer der zweite Durchgang der Zentralmatura – nach den AHS im Vorjahr diesmal auch mit allen BHS – statt.

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Josef Kraus, Präsident des deutschen Lehrerverbandes, ist gegen die Veröffentlichung der Abiturergebnisse von Einzelschulen: "Die Schulen haben eine unterschiedliche Schülerschaft. Das müsste man alles berücksichtigen."

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Wien – Österreich hat heuer die zweite Runde der Zentralmatura durchlaufen. Die Aufregung war wieder groß: hohe Fünferquoten bei der schriftlichen Matura, vor allem in Mathematik, die meisten aber ausgebügelt nach der mündlichen Kompensationsprüfung. Trotzdem gibt es Rufe nach Reform und Änderungen.

Wie funktionieren zentrale Abschlussprüfungen in anderen Ländern? In Deutschland etwa haben 15 der 16 Bundesländer ein Zentralabitur, Bayern hat die längste Tradition. Dort gibt es seit 1854 zentrale Aufgabenstellungen. Der Präsident des deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus aus Bayern, erklärt im STANDARD-Interview, wie es in Deutschland beziehungsweise Bayern funktioniert.

STANDARD: Bayern hat in Deutschland die längste Tradition mit einem Zentralabitur, seit 1854. Wie sieht es im Rest der Republik aus?

Kraus: Aktuell haben 15 der 16 deutschen Länder ein Zentralabitur. Nur Rheinland-Pfalz lässt noch das Hausabitur zu. In der alten Bundesrepublik hatten nur drei der elf Länder ein Zentralabitur, nämlich Bayern, Baden-Württemberg und das Saarland. Die DDR hatte landesweit ein Zentralabitur. Nach der Wiedervereinigung 1990 haben sich nach und nach andere Länder angeschlossen. Da hat sicher auch der Pisa-Schock eine Rolle gespielt.

STANDARD: Wird in Bayern dasselbe Abitur wie in Berlin gemacht?

Kraus: Nein. Wir haben Bildungsföderalismus, jedes Land ist in Sachen Bildung und Schule eigenverantwortlich. Es gibt zwar Vereinbarungen durch die 16 Kultusminister über gemeinsame Bildungsstandards, aber ansonsten haben wir 15 verschiedene Varianten von Zentralabitur, dementsprechend auch zum Teil recht unterschiedliche Ergebnisse. Ein bundesweites Zentralabitur gibt es bei uns nicht und sollte es auch nicht geben, denn das wäre für ein Land mit über 3.000 Gymnasien ein erhebliches logistisches Problem, und es wäre auch zu befürchten, dass sich die 15 Länder, die mitmachen, vielleicht doch nur auf dem untersten Kompromissniveau einigen.

STANDARD: Wie läuft es in Bayern?

Kraus: Das Zentralabitur ist in allen 412 Gymnasien für alle Fächer, die schriftlich geprüft werden, einheitlich. Wir haben fünf Abiturfächer, verbindlich sind Deutsch, Mathematik und eine Fremdsprache, die kann aber auch mündlich geprüft werden. Drei Fächer sind verbindlich schriftlich, zwei mündlich. Bei den mündlichen gibt es keine zentralen Vorgaben, außer durch den Lehrplan. Schriftlich ist es eine volle Zentralprüfung, alles im Detail vorgegeben, auch der sogenannte Erwartungshorizont.

STANDARD: Was ist das?

Kraus: Dieser Erwartungshorizont ist eine Korrekturvorgabe für die korrigierenden Lehrer, eine Art Musterlösung. Er soll über die 424 Gymnasien hinweg garantieren, dass bei der Korrektur durch die Lehrer vergleichbare einheitliche Maßstäbe angelegt werden.

STANDARD: In Österreich gibt es eine mündliche Kompensationsprüfung für die, die bei der schriftlichen Prüfungen einen Fünfer hatten. Wie ist das bei Ihnen geregelt?

Kraus: Schüler, die das Ziel der Maturaprüfung knapp verfehlt haben, können in mündlichen Zusatzprüfungen doch noch über die Hürde kommen. Da gibt es keine zentralen Vorgaben, außer dass sich die Prüfungen an den Lehrplänen orientieren müssen.

STANDARD: Wer korrigiert?

Kraus: Das ist unterschiedlich, je nach Land. In Bayern wird schulintern geprüft durch einen Erst- und einen Zweitprüfer. In Baden-Württemberg zum Beispiel ist der Zweitprüfer ein Externer so wie der dritte Korrektor, der "Endbeurteiler".

STANDARD: Hielten Sie einen externen Prüfer für wünschenswert?

Kraus: Ja, wir haben auch bei einer Zentralprüfung zum Teil ein erhebliches oder zumindest signifikantes Gefälle bei den Durchschnittsnoten von Schule zu Schule. Da bringt es mehr Vergleichbarkeit, Einheitlichkeit und Gerechtigkeit, wenn der Zweitprüfer aus einer anderen Schule kommt oder wenn der Prüfling sogar anonymisiert ist und überhaupt kein Prüfer weiß, aus welcher Schule die Arbeit kommt.

STANDARD: In Österreich gab es große Aufregung, weil diesmal in Mathematik 21,8 Prozent bei der schriftlichen Matura negativ waren, doppelt so viele wie im Vorjahr. Nach der mündlichen Kompensationsprüfung ist das auf 6,9 Prozent Fünfer gesunken. Außerdem gab es große Unterschiede zwischen den Ländern. Wie viele Fünfer gibt es in Bayern im Schnitt?

Kraus: Wir haben ja ein sechsstufiges Notensystem beziehungsweise in der Oberstufe des Gymnasiums ein 15-Punkte-System. 15, 14 und 13 Punkte sind Eins plus, Eins und Eins minus. Am häufigsten haben wir schlechte Leistungen – also "Mangelhaft" oder "Ungenügend" – in Mathematik und den Naturwissenschaften. Aber insgesamt ist die Durchfallerquote sehr gering. Sie bewegt sich im Bereich zwischen ein und zwei Prozent. Die größere Hürde für angehende Maturanten – ich spreche jetzt von Bayern, wo man immer noch sagt, da ist vielleicht das anspruchsvollste Abitur – ist, ob sie überhaupt zur Abiturprüfung zugelassen werden. Es gibt nämlich gewisse Bedingungen, die erfüllt sein müssen. Das bedeutet, dass die ganz schwachen Schüler in der Abiturprüfung und -statistik dann gar nicht mehr auftauchen.

STANDARD: Wie sehen diese Bedingungen konkret aus?

Kraus: Es gibt sogenannte Punktehürden. Zum Beispiel darf ein Schüler bei 40 obligatorischen Halbjahresleistungen der letzten beiden Schuljahre maximal achtmal weniger als 5 Punkte haben, das ist die glatte Note 4. Oder anderes Beispiel: In seiner Seminararbeit, mit der er wissenschaftspropädeutisches Arbeiten nachweisen soll, darf er keine 0 Punkte, also keine Note 6 haben. In beiden Beispielfällen wird der Aspirant dann nicht zur eigentlichen Abiturprüfung zugelassen.

STANDARD: Wie viele sind das?

Kraus: In den beiden Jahren vor dem Abitur dürften es so um die fünf Prozent sein, die vorher schon hängenbleiben und dann ein Jahr zurücktreten müssen.

STANDARD: Was bedeutet das?

Kraus: Man hat zwei Optionen, die Abiturprüfung zu machen. Entweder ich komme bis zur Abiturprüfung, falle durch und kann dann im Jahr darauf nochmal antreten. Oder ich werde zur Abiturprüfung gar nicht erst zugelassen und muss ein Jahr zurücktreten. Das gilt schon als einmaliges Nichtbestehen, dann muss ich es in meinem zweiten Anlauf auf jeden Fall schaffen. Dazu gibt es noch die Regelung, dass die drei Jahre der zehnten, elften und zwölften Stufe längstens vier Jahre dauern dürfen. Wenn jemand die zehnte Klasse wiederholt und dann die zwölfte auch noch wiederholen müsste, dann ist es auch vorbei.

STANDARD: Die Abiturnote besteht ja nicht nur aus der Abiturprüfung.

Kraus: Die Abiturnote setzt sich zu Dritteln aus den Leistungen der letzten beiden Schuljahre und zu einem Drittel aus der eigentlichen Maturaprüfung zusammen. Ich halte das für ein gutes Verfahren, weil dann die Abiturnote nicht nur von einer Abschlussprüfung abhängt, sondern letztendlich auch zeigt, wie jemand zwei Jahre lang gelernt und was er oder sie an kontinuierlicher Leistung gebracht hat.

STANDARD: Gibt es in Bayern einen Gender-Gap bei den Ergebnissen?

Kraus: Insgesamt schneiden die Mädchen besser ab. Wir haben in Bayern eine durchschnittliche Abiturnote von 2,3. Bei den Mädchen eher 2,2, bei den Buben eher 2,4. Es differiert um etwa 0,2, sehr konstant seit Jahrzehnten. Allerdings gibt es auch noch folgende Beobachtung: Unter den absoluten Spitzenleistungen, aber auch unter den ganz ganz schwachen Leistungen sind die Buben stärker repräsentiert. Und es gibt auch Unterschiede nach Fächern. In Mathematik und Physik sind eindeutig die Buben besser, aber in allen anderen Fächern, insbesondere den Fremdsprachen und den sozialwissenschaftlichen Fächern schneiden die Mädchen besser ab.

STANDARD: In Österreich werden die Ergebnisse der einzelnen Schulen nicht veröffentlicht. Die Ministerin sagt, "weil wir Schulen nicht schlecht machen wollen". Welche Ergebnisse werden in Bayern der Öffentlichkeit kommuniziert?

Kraus: Die Schulen bekommen etwa ein Vierteljahr nach der Maturaprüfung ihr individuelles Ergebnis im Vergleich mit dem Bundesland. Das ist eine wichtige Rückmeldung. Das Unterrichtsministerium veröffentlicht die Ergebnisse der einzelnen Schulen nicht, leider tun es die Schulen selbst, indem sie am Tag der Abiturfeier dann doch der Lokalpresse die Ergebnisse sagen. Wir haben 30 Prozent mit 1,x etc. Ich halte von solchen Vergleichen und Veröffentlichungen nicht viel.

STANDARD: Warum?

Kraus: Die Schulen haben eine unterschiedliche Schülerschaft. Wir haben Gymnasien in Großstädten, sicher auch in Österreich, da ist die Übertrittsquote um ein Vielfaches höher als in den Gymnasien auf dem flachen Land. Wenn Sie eine weit höhere Übertrittsquote ins Gymnasium haben, dann haben Sie unter diesen Schülern natürlich auch mehr schwächere und gymnasial ungeeignete Schüler. Es gibt unterschiedliche multikulturelle Zusammensetzung, hier weniger Migrantenanteil, dort mehr, das müsste man alles berücksichtigen. Darum warne ich davor, die Ergebnisse der Einzelschulen öffentlich darzustellen, aber als Einzelergebnis für die Schule, damit sie sich selbst ein Bild machen kann, warum sind wir je nach Fach erheblich besser oder schlechter als der Landesschnitt – das halte ich für sinnvoll.

STANDARD: Was spricht aus Ihrer Sicht für eine Zentralmatura?

Kraus: Zentralmatura ist kein Wert für sich. Man kann mit einer Zentralmatura auch unterstes Niveau festklopfen, das will ich natürlich nicht. Ich will ein anspruchsvolles Abschlussverfahren, und die zwei großen Vorzüge einer zentralen Abschlussprüfung sind mehr Vergleichbarkeit und mehr Gerechtigkeit. (Lisa Nimmervoll, 1.7.2016)