Auch auf europäischer Ebene müssten Änderungen im Sozialbereich Thema sein, fordert ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka.

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Wien – Einige Wochen war es ruhig geworden um ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka. Nach dem Wechsel an der SPÖ-Spitze hielt er sich mit Kritik am Koalitionspartner zurück. Nun zeigt er sich mit den jüngsten SPÖ-Kompromissvorschlägen bei der Mindestsicherung unzufrieden. Dass das derzeitige System zu großzügig sei, zeige sich auch am Beispiel des in Graz vor Gericht stehenden Hasspredigers Mirsad O., der in Wien 2.800 Euro Mindestsicherung bekommen habe, meint Lopatka.

STANDARD: Wie bewerten Sie den jüngsten SPÖ-Vorschlag zur Mindestsicherung? Die Grundleistung würde bei 1.570 Euro gedeckelt, ab dem fünften Kind würde es keinen Kinderzuschlag mehr geben. Der Wohnkostenersatz käme aber noch dazu.

Lopatka: Das ist zu wenig. Das ist so ähnlich wie die Debatte, die wir über die Obergrenze bei den Flüchtlingszahlen gehabt haben. Wir müssen hier exakt bleiben, damit für jeden Klarheit besteht, was gewollt wird. 1.500 Euro kann nicht heißen 1.500 plus Wohnungskosten. Das geht nicht.

STANDARD: Ihr Parteichef Mitterlehner sieht immerhin einen "guten Ansatz" im Vorschlag von Sozialminister Alois Stöger.

Lopatka: Absolut, Stöger bewegt sich. Er nimmt den Begriff Deckel und 1.500 Euro immerhin schon in den Mund. Die Richtung stimmt. Aber es dürfen nicht Fälle wie jener des Hasspredigers Mirsad O. passieren, der in Graz vor Gericht steht. Er bekam netto 2.800 Euro Mindestsicherung in Wien, weil er sieben minderjährige Kinder hat. Das sind im Jahr 11.000 Euro mehr, als er in Kärnten bekommen hätte.

STANDARD: Wo ist Ihre Kompromissbereitschaft? Reicht es, immer nur zu sagen: Das ist zu wenig, es muss genau unser Vorschlag kommen?

Lopatka: Nein, wir können uns schon bewegen. Aber nicht meilenweit von den 1.500 Euro weg. Das geht nicht.

STANDARD: Ist es nicht auch ein Problem, dass die ÖVP-internen Vorstellungen nicht miteinander kompatibel sind? Die westlichen Bundesländer sind explizit gegen eine Deckelung und eine Schlechterstellung von Flüchtlingen. Die ÖVP Oberösterreich ist getrieben von der FPÖ und will genau das. Und die ÖVP Niederösterreich macht sowieso, was sie will.

Lopatka: Das sehe ich überhaupt nicht so, dass jeder macht, was er will. Alle ÖVP-Landtagsklubs wissen, dass es hier zu Veränderungen kommen muss. Wir können nach dem Flüchtlingsansturm nicht so tun, als ob es keinen Änderungsbedarf gäbe.

STANDARD: Aber in Tirol und Vorarlberg hat sich die ÖVP ja explizit gegen eine Deckelung ausgesprochen.

Lopatka: Es gibt in allen Ländern Maßnahmen, um die Kosten zu senken. Ich glaube nicht, dass sich ein ÖVP-regiertes Bundesland am Ende gegen eine Deckelung wehren wird.

STANDARD: Die oberösterreichische Regelung, die eine deutliche Kürzung und Schlechterstellung von Flüchtlingen vorsieht, ist ja längst beschlossen und tritt mit Juli bereits in Kraft. Wie soll man also noch eine einheitliche Regelung zustande bringen?

Lopatka: Auch von der alten Bund-Länder-Vereinbarung für die Mindestsicherung sind einzelne Länder abgewichen. Teilweise wurde sie unterschritten, teilweise überschritten.

STANDARD: Aber Oberösterreich wird jetzt sicher nichts akzeptieren, was über die bereits beschlossene Regelung geht.

Lopatka: Dann muss man Bandbreiten ermöglichen und sagen: Darüber hinaus darf es keine Regelungen geben. Wir diskutieren ja gleichzeitig eine Residenzpflicht für Flüchtlinge. Wer Mindestsicherung bezieht, dürfte also nicht in ein anders Bundesland ziehen. So eine Regelung macht aber nur Sinn, wenn einzelne Länder gewisse Grenzen nicht übersteigen.

STANDARD: Von der Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely gab es den Vorschlag, die Kinderzuschläge überhaupt bei der Mindestsicherung zu streichen und stattdessen die Familienbeihilfe zu erhöhen. Denkbar für Sie?

Lopatka: Das würde einen Riesenwirbel auslösen, wenn ich dann zwei Arten von Familienbeihilfe habe: eine höhere für Mindestsicherungsbezieher, von denen ein erheblicher Teil Flüchtlinge sind, und eine zweite für den Rest. Das ist kein Beitrag zur Lösung des Problems, sondern wäre Wasser auf die Mühlen der Freiheitlichen. Das hielte ich politisch für äußerst unklug.

STANDARD: Sie üben jetzt das erste Mal seit dem Wechsel an der SPÖ-Spitze Kritik am Koalitionspartner. War es das schon mit dem Neustart in Harmonie?

Lopatka: Nein, warum soll das das Ende des Neustarts in Harmonie sein? Das ist auch keine Kritik am Koalitionspartner, sondern ein Festhalten an Positionen, die wir im ÖVP-Bundesvorstand gemeinsam beschlossen haben. Dass wir hier richtig liegen, hat auch die Brexit-Abstimmung in Großbritannien gezeigt.

STANDARD: Wie das?

Lopatka: Ich war am Abstimmungstag in London. Das bestimmende Thema jener, die für den Brexit kampagnisiert haben, war die Flüchtlingswelle – und das dadurch belastete britische Sozialsystem. Was ich damit sagen möchte: Diese Frage ist auch auf europäischer Ebene ganz entscheidend, sonst werden jene Parteien, die am Rande stehen, weiter Zulauf bekommen. Wir sollten daher auch jenes Paket, das den Briten für den Fall eines Verbleibs versprochen wurde, weiter verfolgen: Im Sozialbereich müssen nationalstaatliche Unterschiede möglich sein – zwischen jenen, die bereits für das Sozialsystem Leistungen erbracht haben, und den Neuankömmlingen. Wenn das alles vom Tisch gewischt wird, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Zahl der Unzufriedenen weiter groß bleibt.

STANDARD: Wie haben Sie den SPÖ-Parteitag am Wochenende wahrgenommen? Kanzler Christian Kern hat die ÖVP dort verhöhnt, weil sie nicht über Maschinensteuern oder Vermögenssteuern diskutieren will.

Lopatka: Kommentatoren haben das als Verhöhnung bezeichnet. Ich bewerte das nicht. Ich versuche eine sachliche Diskussion mit dem Koalitionspartner zu führen. Ich möchte die SPÖ nicht verhöhnen. Verhöhnen ist mir fremd. (Günther Oswald, 30.6.2016)