Seit sich die Briten am vergangenen Donnerstag für einen Austritt aus der Europäischen Union ausgesprochen haben, werden auch in anderen Mitgliedsstaaten Forderungen nach einem Volksentscheid laut. Oppositionsparteien in Dänemark und den Niederlanden treten für Referenden in ihren Ländern ein, und auch in Österreich hat FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer ein solches verlangt, falls nicht binnen eines Jahres eine politische Kurskorrektur in der EU stattfindet.

Für den Fall, dass es in Österreich eine solche Volksabstimmung gäbe: In welchen Teilen der Bevölkerung wäre die Ablehnung der EU am stärksten?

Das European Social Survey 2014 hat knapp 1.800 Personen in Österreich gebeten, sich auf einer Skala mit folgenden Endpunkten einzuordnen:

  • 0: Die europäische Einigung ist bereits zu weit gegangen.
  • 10: Die europäische Einigung sollte weiter gehen.

Die folgenden Grafiken zeigen die Mittelwerte für bestimmte Gruppen von Befragten auf dieser Skala. Dabei gilt: je niedriger die Werte, desto größer die Skepsis gegenüber dem Prozess der europäischen Einigung.

Die erste Grafik zeigt, dass Parteipräferenz und EU-Skepsis stark zusammenhängen. FPÖ-Wähler liegen im Mittel bei 1,9, Grün-Wähler bei 5,0 (der Mittelwert über alle Befragten ist 3,5). Dazwischen landen die Wähler von SPÖ, ÖVP und Neos, die allesamt Durchschnittswerte um 4 aufweisen. Bemerkenswert an diesen Zahlen ist vor allem, dass die FPÖ bis in die 1980er-Jahre die europafreundlichste der österreichischen Parteien war, während die Grünen noch 1994 vehement gegen den EG-Beitritt Österreichs auftraten.

Wie die zweite Grafik verdeutlicht, gibt es auch zwischen formaler Bildung und EU-Skepsis einen robusten Zusammenhang. Personen mit höheren Bildungsabschlüssen sind im Schnitt proeuropäischer, jene mit Lehrabschluss im Mittel am skeptischsten. Ein ähnliches Muster wurde auch in Großbritannien in vielen Umfragen sichtbar.

Wiewohl Bildungsgrad und Einkommen miteinander zusammenhängen, ist Letzteres kaum ein relevanter Faktor für die Erklärung von Unterschieden in der Einstellung zur EU. Personen mit höherem Haushaltseinkommen weisen zwar tendenziell eine positivere Haltung zur europäischen Einigung auf, jedoch ist dieser Zusammenhang nicht besonders stark. Wie beim Wahlverhalten der Österreicher gilt auch hier: Bildung schlägt Einkommen als Erklärungsfaktor.

Im Vergleich zum Bildungsabschluss spielt auch das Alter keine gravierende Rolle. Jüngere Menschen sind im Mittel gegenüber der europäischen Einigung etwas positiver eingestellt, ältere etwas negativer. Aber die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind relativ gering – ganz im Gegensatz zum Brexit-Votum.

Zum Schluss ist noch ein Blick auf Einstellungen zur Zuwanderung angebracht. Eines der wichtigsten Argumente der Brexit-Befürworter war ja, dass nur durch einen EU-Austritt die Zuwanderung nach Großbritannien unter Kontrolle gebracht werden könne.

Wie die Grafik verdeutlicht, korrelieren Einstellungen zur Zuwanderung mit jenen zur EU außerordentlich stark. Personen, die Migration positiv sehen, haben auch eine deutlich positivere Einstellung zur europäischen Einigung (Mittelwert: 5,5). Jene mit negativer Haltung zu Zuwanderung sehen die EU weitaus kritischer (Mittelwert: 2,0).

Im Originaldatensatz wurde die Zuwanderungsvariable ebenfalls mit einer Skala von 0 bis 10 erfragt, die hier zu drei Kategorien zusammengefasst wurde. Die Korrelation der Originalvariable mit der EU-Skala beträgt r = 0,5 – ein für sozialwissenschaftliche Verhältnisse außergewöhnlich starker Zusammenhang.

In Österreich ist also jede Debatte über die Europäische Union untrennbar mit Zuwanderungsfragen verbunden. Im Vorfeld eines (bislang theoretischen) EU-Referendums fände sich Migration deswegen wohl auch weit oben auf der politischen Tagesordnung. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 30.6.2016)