In Zeiten wie diesen birgt das Wort "Referendum" großes Traumatisierungspotenzial. Doch wenn Premier Viktor Orbán die Ungarn am 2. Oktober darüber abstimmen lässt, ob sie die von der EU beschlossene verpflichtende Verteilung von Flüchtlingen auf alle Mitgliedsstaaten akzeptieren, bleiben die Auswirkungen überschaubar.

Das EU-Quotensystem harrt bis heute der konsequenten Umsetzung, und auch eine von Brüssel geplante Adaption, wonach widerwillige Länder pro nicht aufgenommenen Flüchtling 250.000 Euro in die EU-Kasse zahlen sollen, wird vermutlich Wunschdenken bleiben. In Ungarn selbst ist das geplante Referendum lediglich die Fortsetzung einer rigorosen Antiflüchtlingspolitik, bei der die Regierung bereits im vergangenen Jahr zu unlauteren Mitteln griff. Erinnert sei etwa an einen millionenfach verschickten Fragebogen mit Suggestivfragen wie jener, ob die Bürger es nicht besser fänden, ungarische Familien und die "zu gebärenden Kinder" zu unterstützen statt Einwanderung.

Orbán betreibt sein eigenes fremdenfeindliches Spiel, in dem nur die Regeln gelten, die er selbst aufstellt. Das beweist auch der am Dienstag angekündigte Schritt, Flüchtlinge ohne Verfahren wieder abzuschieben. Die Bevölkerung dankt es ihm mit hohen Zustimmungswerten, und auch das Referendum wird mit einer überwältigenden Mehrheit gegen das EU-Quotensystem enden.

Dankbar muss man ihm aber auch außerhalb Ungarns sein – dafür, dass er das Flüchtlingsthema wieder aufs Tapet bringt, das wegen Brexit, Anschlägen in der Türkei und hierzulande wegen einer Wahlwiederholung fast schon in der Versenkung verschwunden ist. Vom UNHCR wurden zuletzt wieder leicht steigende Zahlen auf der Balkanroute gemeldet. Und in Italien wurden im ersten Halbjahr 2016 mit 70.930 Flüchtlingen nur unwesentlich weniger Ankünfte registriert als im Rekordjahr 2015. Noch könne man alle versorgen, heißt es seitens der Regierung in Rom. Noch. (Kim Son Hoang, 5.7.2016)