Cortina d'Ampezzo – Für einen echten Autonarren ist es ein Segen, mit einer Frau verheiratet zu sein, deren Blut mindestens 98 Oktan hat. Nicht dass Handtaschen und Schuhe in ihrer Welt keine Berechtigung hätten, aber sie schätzt halt auch, wenn sie das passende Auto dazu hat. Kurzum, am Hochzeitstag kann man aus dem Vollen schöpfen. Juwelen, vernähtes Leder oder ein Bolide. Sie ist da nicht heikel. Dementsprechend feucht wurden die Augen, zittrig die Stimme, als ich fragte, ob ein Tag Ferrarifahren nicht ein angemessenes Hochzeitstagsgeschenk sei.

Foto: Ferrari

So schnell wird man zum "besten Mann der Welt". Die Tatsache, dass der Ferrari der neue GTC4Lusso sei und in Südtirol warte, brachte zudem eine Umarmung ein, die man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht vor 22.00 Uhr senden dürfte.

Flauschige Wolken, besonderes Licht

Die Woche bis zum Hochzeitstag war sicher eine der schönsten dieser inzwischen sieben Jahre andauernden Ehe. Herrlich begann auch der hohe Tag selbst. Die Bergspitzen Südtirols spießten flauschige, weiße Wolken auf, während die Sonne bereits die Terrasse des Hotels wärmte. Es war ein ganz besonderes Licht, die Luft so klar und der Kaffee so italienisch. Dazu die prickelnde Aufregung und die kindliche Vorfreude – gepaart mit viel Respekt.

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In einen Ferrari springt man nicht wie in einen Miet-Panda. Eher wie die Katze um die heiße Milch schleicht man um den Wagen, betrachtet ihn von allen Seiten, berührt ihn dort und da neckisch, streicht ihm über die Flanken, tatscht vorsichtig auf das Glasdach und atmet den Duft.

Modellpflegeferrari

Im Grunde ist der GTC4Lusso ja nur ein Facelift des FF. Aber die neue Heckpartie, die fasziniert – wie das gesamte Fahrzeugkonzept des Luxussportlers auch.

Foto: Ferrari

Noch nie war ein "Auto für jeden Tag" so schön. Ferrari will mit dem GTC4Lusso vor allem jüngere Kunden ansprechen – solche mit Familie. Darum ist auch der 450 Liter fassende Kofferraum so wichtig. Aber dieser, und die neuen Heckleuchten, sind komplett nebensächlich, wenn wir erst einmal zum Motor kommen.

690 PS starker V12

Weil sich die FF-Kunden beschwert haben, dass der Wagen gerade in der Stadt so laut ist, hat Ferrari den GTC4Lusso ein wenig leiser gemacht. Jetzt stellt es einem nur noch die Haare am Arm auf und fetzt sie nicht gleich aus der Haut, wenn der 6,262 Liter große V12-Sauger zum Dienst antritt.

Foto: Ferrari

Ferrari hat den Motor komplett überarbeitet und dabei 30 Pferde gefunden, die sich irgendwo zwischen den zwölf verschränkten Kolben versteckt haben.

690 PS leistet der Motor jetzt – bei 8000 Touren. "Aber machen Sie sich bitte keine Sorgen", beruhigte Motorenchef Vittorio Dini schon am Vorabend, "auch bei niedrigen Drehzahlen liegt ausreichend Leistung an, um gut voranzukommen."

Zwei Tonnen Lebendgewicht

Wenn ich mich recht erinnere, sind es 430 PS bei 2000 Umdrehungen, und ich kann bestätigen, zum Wegfahren reicht das – obwohl der GTC4 Lusso mit seinen fast zwei Tonnen Lebendgewicht mehr auf die Waage drückt als unser Alltagsauto samt Gattin, Gemahl und Gadsen ...

Foto: Ferrari

Ferrari kitzelt aber nicht nur mehr Leistung, sondern auch mehr Drehmoment aus dem V12-Sauger. Möglich wurde das durch die Erhöhung der Kompression. 98 Oktan hat eh der FF schon bevorzugt, aber der GTC4 verträgt notfalls auch 91 Oktan. Er soll sich ja weltweit gut verkaufen.

Streicheln und Posieren

Kurven verträgt er übrigens auch ganz gut. Man kann den Luxusschlitten nämlich nicht nur zum Streicheln und Posieren verwenden, sondern auch, um die Südtiroler Berge beben zu lasen.

Beim GTC4 lenkt jetzt die Hinterachse mit. Einmal,um den Wagen zu stabilisieren, ein andermal, um ihn agiler zu machen. Wann die Räder wohin lenken, rechnet sich der Wagen selbst aus. Und es funktioniert hervorragend. Da gehen auf einmal Geschwindigkeiten in den engen Kehren, dass anzudenken wäre, die Physikbücher neu zu schreiben.

Foto: Ferrari

Er hat eben jede Menge Elektronik-Schnickschnack verbaut, der Lusso, aber so gekonnt, dass er nie nervt. Die Fahrassistenten reden sich mit dem Sieben-Gang-Doppelkupplungsgetriebe zusammen, das E-Diff macht ohnedies, was der Fahrer will, und die Infotainmentsysteme sind auch voll boah.

Spritverbrauch, ja, hat er

Doch dann fällt auf, dass etwas fehlt. Ein paar Sachen hat Ferrari ja versteckt – alle Schalter etwa, die man am Lenkstock vermuten würde, sind am Lenkrad untergebracht. Aber die Suche, selbst in den Tiefen der Displays, bringt uns nicht zum aktuellen Spritverbrauch. Ist eh wurscht. Wird schon was reinrinnen.

Foto: Ferrari

In 3,4 Sekunden sprintet der Wagen von 0 auf 100 km/h. Schon das hilft, sich auszumalen, wie man nach der Kurve, wenn das Gaspedal erst einmal die Bodenplatte geküsst hat, in den Sitz gedrückt wird. In unter elf Sekunden liegt Tempo 200 an. Aus der Kehre raus hätte ein Beifahrer also nicht den Hauch einer Chance, nach vorn zu greifen und an dem Beifahrer-Display zu spielen.

Böses Erwachen

Das alles hätte ich auch gern meiner Frau erzählt, als ich am Hochzeitstag, eine Minute vor Mitternacht, vom Ferrarifahren heimkam. Aber sie hat schon geschlafen. Und nachdem ich sie geweckt hatte, hat auf der Stelle das verflixte siebente Jahr begonnen. Ferrarifahren am Hochzeitstag ist vielleicht doch nicht so toll. (Guido Gluschitsch, 10.7.2016)

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