Brexit? Der Affe mit dem Gesichtsausdruck eines Oberbosses sitzt mit gespreizten Beinen auf dem Stein und schaut sich gelassen um, so als könne ihn nichts und niemand je von diesem Felsen vertreiben, auf dem er geboren ist. In aller Seelenruhe beobachtet er seine Artgenossen, die sich gegenseitig lausen und die Touristen, die das lachend fotografieren. Nicht die Spur von Besorgnis in seinem Gesicht, eher könnte man ihm ein grimmiges "Wir bleiben!" andichten. Dabei kann er gar nicht wissen, was man seit Jahrhunderten über den Affenfelsen sagt: Solange die Affen da sind, bleibt Gibraltar britisch.

Viele Einwohner Gibraltars sind besorgt. Werden sie mit Großbritannien die EU verlassen?
Foto: APA / AFP / SERGIO CAMACHO

In der echten Welt ist das jetzt alles ins Wanken geraten. Seit England aus der EU will, stellt sich auch die Frage, was aus Gibraltar wird. Mit 6,5 Quadratkilometern ist das Gebiet kleiner als der größte Park in London. 1713 wurde das Gebiet am Südzipfel Spaniens durch den Vertrag von Utrecht an Großbritannien abgetreten.

Pendler und Pubs

Vieles an diesem Flecken am südlichen Ende Europas ist very british. Hier spricht man noch gepflegtes Englisch, bekommt ausgezeichnete Fish and Chips und frisches Ale im Pub. In der Innenstadt staut sich der Berufsverkehr wie am Piccadilly Circus, viele Spanier pendeln täglich zwischen ihren andalusischen Wohnorten und Gibraltar.

Nun sind viele besorgt: Was wird aus ihnen, wenn Gibraltar ebenfalls die EU verlässt? Fast niemand will das hier. Ein Regierungssprecher des Überseegebiets versuchte bereits zu versichern, dass Grenzgänger wie Touristen auch in Zukunft willkommen sein würden.

Dabei führt die steigende Einwohnerzahl von derzeit 32.000 zu ständigen Platzproblemen. Häuser werden fast immer mehrstöckig und sogar auf Felskuppen gebaut. Selbst für den Flughafen ist kaum Platz. Macht nichts: Bei der Fahrt von der Grenze ins Zentrum quert man einfach die Landebahn. Ist gerade eine Maschine im Anflug, muss man vor einem Schranken warten, bis sie gelandet ist.

Höflich zu den Nachbarn

Den größten Raum nimmt der 426 Meter hohe Tafelberg Upper Rock ein. An seinem Fuße steht der südlichste Leuchtturm Europas. Von dort kann man bei schönem Wetter die Berge in Marokko sehen. Nur etwa 24 Kilometer entfernt liegt die nordafrikanische Küste. Als wäre es unhöflich, die Nähe zu den mehrheitlich islamischen Nachbarn zu verleugnen, steht hinter dem Leuchtturm die sechs Millionen Euro teure Ibrahim-Al-Ibrahim-Moschee – ein Geschenk des Königshauses von Saudi-Arabien an die vier Prozent Muslime in Gibraltar.

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Wenn starker Wind die Gondelbahn auf den Upper Rock lahmlegt, haben die Taxler viel zu tun. Es führt auch eine Straße auf den "Affenfelsen".
Foto: Reuters / Jon Nazca

Die Tourguides und Taxler haben an diesem Tag viel zu tun: Die Seilbahn auf den Upper Rock kann wegen zu starken Windes nicht fahren. Gruppentaxis bringen die Urlauber über eine Straße hinauf und halten unterwegs am Eingang der Saint Michael’s Cave. Es zeigt sich: Der Tafelberg ist auch von innen attraktiv. In der 62 Meter tiefen Höhle beleuchten farbige Scheinwerfer die Tropfsteine.

Feste in kleinerem Kreis

"Winzig, nicht wahr?", scherzt Wärter Dion, bemüht, seinen britischen Humor heraushängen zu lassen, und zeigt dabei auf die riesige Tropfsteinhalle: "Hier haben leider nur 400 Leute Platz. Manchmal finden intime Veranstaltungen statt, Geburtstage oder Hochzeiten in kleinerem Kreis". Auch John Lennon und Sean Connery kamen hierher, um ihren Frauen das Jawort zu geben. Heiraten sei "very simple" in Gibraltar – ohne große Bürokratie.

Lange Zeit hielt sich die Legende, von dem Felsen führe eine Höhle unter dem Meer hindurch nach Afrika. Nur so könnten die Berberaffen nach Gibraltar gelangt sein, glaubte man. Die Tiere sind nicht nur zu einem Wahrzeichen der Enklave geworden, seit Churchill stehen sie sogar unter Militärschutz. Sie scheinen zu wissen, dass sie sich deshalb so ziemlich alles erlauben können.

Frech durchs Fenster

Auf dem Tafelberg turnen die Affen auf der Suche nach Essbarem auf den Bussen und Taxis her um. Einer schwingt sich auf den Seitenspiegel und hält bettelnd die Hand durchs geöffnete Fenster. Ein anderer ist noch frecher: Er schleckt genüsslich das Eis, das er gerade einer Urlauberin abgenommen hat. Dabei kann der Hunger so groß eigentlich nicht sein.

"Solange die Affen da sind, bleibt Gibraltar britisch", heißt es. Aber bleibt Gibraltar auch in der EU?
Foto: Monika Hippe

Einmal am Tag werden die Tiere von einer eigenen Mannschaft gefüttert. Mittlerweile mischt man ihnen aber die Antibabypille ins Futter, denn die Population ist bereits auf über 230 Exemplare angewachsen. Viele Affen halten zusammen, das ist klar – und sie werden sich nicht vertreiben lassen, egal, ob Gibraltar nun in der EU bleibt oder nicht. (Monika Hippe, 18.7.2016)