Büskens: "Ich liebe Schalke. Aber der Reiz, Rapid-Trainer zu werden, war dann stärker als diese Liebe."

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STANDARD: Sie sagen, dass Sie stets nach dem Höchsten streben. Was ist das Höchste für Rapid?

Büskens: Nach dem Höchsten streben bedeutet, dass man alles reinschmeißt, was in einem drinnen steckt. Am Ende des Tages dürfen sich weder Mannschaft noch Betreuerstab vorwerfen, etwas liegen gelassen zu haben, weil wir nachlässig gewesen sind.

STANDARD: Nach der abgelaufenen Saison war man bei Rapid trotz des zweiten Platzes der Ansicht, es wäre weit mehr möglich gewesen. Man hat sich wohl deshalb von Ihrem Vorgänger Zoran Barisic getrennt. Haben Sie das in irgendeiner Form mitverfolgt?

Büskens: Ich war zu weit weg. Aber ich habe den Fußball in Österreich stets verfolgt, weil ich eine Affinität dazu habe. Josef Hickersberger war mein Trainer in Düsseldorf, Helmut Schulte war Sportdirektor bei Rapid, Thomas Linke, ein ehemaliger Mitspieler, war in Salzburg. Ich habe Rapids Ergebnisse mitbekommen. Mir steht nicht zu, all das zu analysieren. Ich möchte nie den Vorwurf hören, man sei nicht griffig genug, nicht gierig genug gewesen.

STANDARD: Sie sind gelernter Koch. Welcher Zutaten bedarf es, damit Rapid gut schmeckt?

Büskens: Rapid zeichnet aus, dass wir einen kultivierten Fußball spielen, dass wir uns über die Offensive und ein gepflegtes Passspiel definieren. Wir haben junge Spieler, die gut ausgebildet sind, zum Teil aus der eigenen Akademie stammen. Das ist die Hauptzutat. Es geht darum, aus diesem guten Stück Fleisch durch Zugabe von richtigen Gewürzen etwas Geschmackvolles, ein Hauptgericht zu machen. Dazu gehört, dass wir konsequenter sind im letzten Drittel, dass wir nach dem Torerfolg gieren. Schönspielen reicht nicht, ein Gewürz ist Effektivität.

STANDARD: Was kann man von Rapid unter Büskens erwarten? Krempeln Sie alles um?

Büskens: Das wäre Schwachsinn. Du hast ja Jungs, die es können, die ihre Stärken im Spiel mit dem Ball haben. Es geht ums Festigen, um Details. Die Gegner werden uns in der Regel den Ball geben, sie werden abwarten, versuchen, uns im Konter zu erwischen. Da müssen wir wachsam sein.

STANDARD: Haben Sie eine Philosophie, einen Leitsatz, Vorbilder?

Büskens: Dich begleiten viele Trainer, es ist normal, dass du da etwas mitnimmst. Wie Josef Hickersberger mit mir umgegangen ist, wie er mir vertraut, wie er sich Zeit genommen hat, war menschlich großartig. Bei Huub Stevens beeindruckte die Besessenheit, die Leidenschaft, die Gier, etwas gewinnen zu wollen. Das hat mich geprägt, ich könnte die Liste fortsetzen. Ich möchte immer agieren, nicht reagieren, Lösungen finden.

STANDARD: Sie wurden bei Schalke sozialisiert, der Vergleich mit Rapid drängt sich auf. Gibt es tatsächlich Parallelen?

Büskens: Ja. Die Leidenschaft, mit der Fußball gelebt wird. Das neue Stadion kann Rapid enorm viel Energie bringen. Ich habe zwar gesagt, ich liebe Schalke, aber der Reiz, Rapid-Trainer zu werden, war dann stärker als diese Liebe.

STANDARD: Schalke und Rapid sind Arbeitervereine. Ist Fußball Arbeit?

Büskens: Selbstverständlich. Ich habe mich immer darüber definiert, dass mein Trikot nach dem Spiel dreckig war. Ich war nie der Filigrane, der Künstler, ich habe mir alles erarbeitet. Ich passe mit meiner Mentalität zu Rapid.

STANDARD: Ihr Engagement kam überraschend zustande. Es ist schnell gegangen. Sie kennen Sportdirektor Andreas Müller gut, der Vorwurf der Freunderlwirtschaft, die eine österreichische Tradition ist, stand im Raum.

Büskens: Gehe ich darauf ein, glauben die Leute, ich müsste mich rechtfertigen. Aber es ist so abwegig, dass ich darauf eingehen muss. Natürlich kenne ich Müller seit 1992, seit dem Tag, als ich zu Schalke kam. Aber in diesen 24 Jahren gibt es keinen Tag, den er und ich privat miteinander verbracht haben, wir sind keine Haberer. Weist mir jemand ein gemeinsames Essen mit Andi nach, steige ich in den Flieger und fahre nach Hause. Wir schätzen uns. Nicht mehr, nicht weniger.

STANDARD: Warum nur ein Einjahresvertrag? Schaut nicht nach Vertrauensvorschuss aus.

Büskens: Es war mein Wunsch. Meine Familie ist weit weg, meine Töchter sind 14 und 17. Ein Alter, in dem du sie gerne begleiten möchtest. Aber Rapid hat etwas in mir geweckt. Man muss schauen, ob diese Konstellation passt. Meine Leidenschaft als Trainer, dieser emotionale Verein und meine Familie, die mir alles bedeutet und mir fehlen wird. Stellen wir fest, es ist eine geile Sache, wird es ein zweites, drittes oder viertes Jahr geben. Falls nicht, möchte ich nicht mit meinem Anwalt da sitzen und Modalitäten einer Trennung ausverhandeln. Ich definiere mich nicht über Abfindungen.

STANDARD: 2012 wurden Sie vom Deutschen Fußballbund mit einer Fairnessmedaille ausgezeichnet. Weil Sie als Coach von Greuther Fürth vor jedem Heimspiel den Trainern und Spielern des Gegners die Hand geschüttelt haben. Werden Sie das in Österreich auch so handhaben?

Büskens: Ja, das ist meine Absicht. Gäste begrüßt man. Ich versuche, mit jedem Menschen respektvoll umzugehen. In den 90 Minuten sind wir sportliche Kontrahenten. Respekt ist ein Wert, der leider immer öfter zu kurz kommt.

STANDARD: 2005 lagen Sie nach einer Darminfektion im Koma. Prägte das?

Büskens: Ich hatte zwei bis fünf Prozent Überlebenschance. Meine Eltern haben mir ein Wertekonzept mitgegeben, mein Leben hat sich nicht komplett geändert. Ich wurde nicht vom Saulus zum Paulus. Ich hatte nach einem Patellasehnenabriss zehn Operationen, mein Immunsystem war down. Ich kämpfte, wollte meine Familie wiedersehen. Nach einem Multiorganversagen lag ich eine Woche im Koma, musste von null anfangen, das Gehen lernen. Die Zeit war nicht prickelnd. Natürlich macht es demütig, aber ich hatte immer Demut in mir. Hätte ich nicht die Konstitution eines ehemaligen Sportlers gehabt, wäre ich gestorben. Irgendwann ging das Licht wieder an.

STANDARD: Zurück zu Rapid. Der Verein ist seit 2008 ohne Titel, die Sehnsucht nach Erfolgen ist groß. Kann Büskens sie stillen?

Büskens: Wir werden alles versuchen, können es aber nicht garantieren. Es ist gut, dass man Sehnsüchte hat. Es ist aber nicht ungefährlich. Man kann an Sehnsüchten auch scheitern. Wir müssen schon unsere Rolle erkennen. Wir sind der Verfolger von Red Bull Salzburg, wollen ihnen wehtun.

STANDARD: Österreich ist im Fußball ein Land der begrenzten Möglichkeiten. Die Liga darbt, die Stadien sind halb leer, die besten Spieler wollen ins Ausland. Rapid hat Florian Kainz an Werder Bremen verloren. Deprimierend, oder?

Büskens: Nein. Es ist kein Problem von Rapid, dass die Besten gehen. Das gilt doch für 99 Prozent aller Vereine. In Südamerika wollen alle nach Europa. Nicht einmal Borussia Dortmund kann die Leute halten. Es ist logisch, dass Kainz weg ist, und auch Stefan Stangl verdient in Salzburg deutlich mehr. Mich stört der Begriff Ausbildungsverein überhaupt nicht.

STANDARD: Wenn man die Ablösesummen und Gehälter betrachtet, die international gezahlt werden, hat der Fußball die Grenze zur Perversion nicht überschritten? Oder ist es nur ein normales Spiel von Angebot und Nachfrage?

Büskens: Es ist wohl so, dass Angebot und Nachfrage den Markt regeln. Als traditionell denkender Mensch fühle ich mich manchmal auf einem falschen Planeten. Liest man, dass Crystal Palace um 40 Millionen einen Spieler kauft, muss man sich fragen, ob das normal ist. Es ist nicht mehr normal.

STANDARD: Ist es positiv, dass der österreichische Fußball diesbezüglich recht normal und geerdet ist?

Büskens: Ja. Die Welle ebbt hier ab. Aber sie kommt auch an und sorgt für Veränderungen. (Christian Hackl, 15.7.2016)