Die "Cui bono"-Frage – wem nützt es – ist nach dem Putschversuch in der Türkei in diesem Moment ganz eindeutig zu beantworten: Präsident Tayyip Erdogan hält in triumphalistischer Manier überhaupt nicht hinter den Berg damit, dass er nun aufzuräumen gedenkt und hat ja auch schon damit begonnen. Nicht nur deshalb, sondern auch weil so viele Details dieses Umsturzversuchs unverständlich und dilettantisch erscheinen, blühen bei den Erdogan-Gegnern die Verschwörungstheorien: Das Ganze sei inszeniert gewesen, um Erdogan den Griff nach der absoluten Macht zu ermöglichen. Und es stimmt, dass es Gründe dafür gibt, diesem absoluten Machtmenschen einfach alles zuzutrauen.

Ohne ein Urteil darüber zu fällen, was nun wahr und was unwahr an all den kursierenden Geschichten ist – die das wissen, kann man im Moment wohl an einer Hand abzählen –, sollte man jedoch immer eines bedenken: Die "Cui bono"-Frage ist sehr oft dazu angetan, in die Irre zu führen. Sie lässt nämlich einen Faktor aus, der auch in historischen Dynamiken immer wieder eine große Rolle gespielt hat: die menschliche Dummheit. Man kann auch eleganter "Hybris" sagen, die Selbstüberschätzung, oder die Unfähigkeit, die Komplexität von Situationen und die Folgen von Handlungen einzuschätzen. Die Geschichte ist voll von Beispielen, in denen Aktionen genau zum Gegenteil des Beabsichtigten führen und jenem nützen, zu dessen Schaden sie gedacht waren. Und voll von dilettantischen Aktionen, die gelungen sind, und solchen, die gescheitert sind.

Es fällt in der Tat manchmal schwer zu glauben, dass das, was man sieht, echt ist: So dumm kann der – in der Geschichte war es eben meist "der", nicht "die" – doch gar nicht sein, so zu handeln! Ergo muss es eine Inszenierung sein oder zumindest eine Orchestrierung.

Eines der historischen Beispiele für Letzteres ist der Überfall Saddam Husseins auf Kuwait im Sommer 1990: Er hätte es doch nie und nimmer getan, wenn ihn nicht die amerikanische Botschafterin in Bagdad hineingehetzt hätte, nicht wahr? Ein anderes Beispiel aus der Region für ein totales Fehlurteil war die Idee Bashar al-Assads, sich mit nordkoreanischer Hilfe einen Atomreaktor in die syrische Landschaft stellen zu lassen und zu glauben, dass dieser nicht entdeckt werden würde. Die in Bau befindliche Anlage wurde nicht nur 2007 von den Israelis aus der Luft zerstört, sondern Assads Griff nach dem Atomaren – als Partner des Iran, das ist der springende Punkt – hat mit Sicherheit dazu geführt, dass Länder wie Saudi-Arabien Assad endgültig abschrieben: Als 2011 der "Arabische Frühling" Syrien erreichte, ergriffen sie die vermeintliche Chance, Assad loszuwerden, und unterstützten den Aufstand.

Darum also Vorsicht mit zu viel Vertrauen in kurzfristige "Wer profitiert am meisten davon"-Schlüsse. So einfach funktioniert Geschichte nicht. Und wie das alles wirklich ausgeht, ob Erdogan am Ende wirklich als Sieger übrig bleibt, wird man erst später sehen. (Gudrun Harrer, 17.7.2016)