Türkische Demonstration am Samstag auf dem Wiener Heldenplatz.

Foto: APA/Oczeret

STANDARD: Noch während des Putsches in der Türkei gab es in der Nacht auf Samstag Solidaritätsdemonstrationen für Erdoğan in österreichischen und anderen europäischen Städten. Organisiert wurden diese angeblich von der als Erdoğan-nah geltenden Union Europäisch-Türkischer Demokraten. Wer steht hinter diesem Verein?

Günay: Die UETD ist eine Vorfeldorganisation der AKP, ähnliche Ableger gibt es in etlichen europäischen Städten. Man muss sagen, dass die AKP es in den letzten 13 Jahren an der Macht geschafft hat, verschiedene gesellschaftliche Ebenen und den Staat und seine Institutionen so zu durchdringen, dass nicht mehr klar zu sehen ist, wo die AKP aufhört und wo die Zivilgesellschaft oder der Staatsapparat beginnt. Die massive Säuberungswelle gibt Anlass zu Befürchtungen, dass der Putsch nun noch stärker für die Mobilisierung einer AKP-Basis hinsichtlich eines autoritäreren Systems genutzt wird. Das hat natürlich auch gewisse Auswirkungen auf die UETD in Österreich.

STANDARD: Welche Aufgaben hat die UETD?

Günay: Im Rahmen der Strukturen der UETD, die Büros in allen wichtigen Städten Europas hat, kann man sich aktiv politisch einbringen. Das tut aber eher eine geringe Zahl. Ich bezweifle, dass alle, die am Wochenende in Wien auf die Straße gegangen sind, die UETD kennen. Viel mehr Menschen erreicht der von der UETD weitergetragene politische Diskurs. Der ist dominant-hegemonial und bezieht sich auf die Aufrechterhaltung einer Opferrolle von Personengruppen, die sich durch die politisch immer stärker populistisch geprägte Stimmung in Europa ausgeschlossen fühlen und denen die Beteiligung an einem gewissen Machtfaktor angeboten wird. In Österreich haben sich ja sogar Wahlkampagnen direkt gegen Türken gewandt. Das wirkt auf viele Zuwanderer stark verunsichernd. Die UETD stellt die Strukturen zur Verfügung, um einen konservativ-islamischen und zugleich türkisch-nationalistischen Diskurs zu bedienen.

STANDARD: Gibt es andere Gruppen, die in Europa organisiert sind?

Günay: Ja, aber die sind allesamt schwächer. Die Regierungspartei verfügt einfach über ganz andere Ressourcen und hat es außerdem geschafft, eine Monopolstellung im islamisch-konservativen Diskurs zu erringen. Sie wird von vielen als Partei gesehen, die die Religion von der Unterdrückung des Kemalismus befreit hat – überspitzt gesagt. Es gibt jedenfalls in der jetzigen Situation keine Gegenseite, die den Putsch verteidigen würde. Es haben ja auch alle Parteien des türkischen Parlaments und alle politischen Bewegungen den Putsch verurteilt.

STANDARD: Wie ist die Gülen-Bewegung in Europa aufgestellt?

Günay: Sie hat weltweite Strukturen. Zahlenmäßig ist sie aber keine Massenbewegung, die zum Beispiel zu Demonstrationen aufrufen würde. Das Netzwerk sieht sich eher als eine Art Kaderschmiede, die über Bildungseinrichtungen Menschen "rekrutiert". Zum Beispiel wurden talentierten, aber eher mittellosen jungen Studenten Stipendien gewährt. Die studierten in Europa, in der Türkei, in den USA und kamen dann – zumindest bist zum Bruch Gülens mit Erdoğan 2014 – in Schlüsselpositionen in der Türkei.

STANDARD: Bei der Demonstration in Wien, die ansonsten friedlich war, wurde im Gastgarten eines türkisch-kurdischen Lokals randaliert. Wie passen die Kurden ins Bild?

Günay: Die AKP hat durch das harte Vorgehen gegen die PKK und in der Kurdenfrage viele nationalistische Stimmen auf ihre Seite gezogen. Das hat zu einer Polarisierung zwischen Regierungsanhängern und Nationalisten auf der einen und kurdischen Nationalisten auf der anderen Seite geführt. Dieser Konflikt macht weit über diese nationalistischen Kernanhänger hinaus die Menschen betroffen und birgt natürlich einiges Konfliktpotenzial. Zwischentöne werden leider immer seltener. (Manuela Honsig-Erlenburg, 18.7.2016)