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"Hier der Führer, hier die Armee": Präsident Recep Tayyip Erdoğan spricht nach dem Putsch in Istanbul zu seinen Anhängern.

Foto: Reuters/Sezer

Die von Präsident Recep Tayyip Erdoğan avisierte Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei ist nun also das Ausschlusskriterium für die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara. So tönt es unisono aus den europäischen Hauptstädten und von den EU-Spitzen. Dies sei ein "K.-o.-Kriterium" (Erweiterungskommissar Johannes Hahn), "mit dem Ziel einer EU-Mitgliedschaft in keiner Weise vereinbar" (Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel), "dann kann die Türkei kein Partner sein" (Österreichs Bundeskanzler Christian Kern).

Gleichzeitig wird vonseiten der EU betont, dass man am Flüchtlingsdeal mit Ankara in jedem Fall festzuhalten gedenkt. Das Abkommen, das regelt, dass für jeden illegal über die Ägäis eingereisten Migranten im Tausch ein syrischer Flüchtling aus der Türkei legal in die EU darf, ist jedoch ohnehin weitgehend wirkungslos, da sich die Flüchtlingsströme durch die Abriegelung der Balkanroute längst verlagert haben. Ausgenommen vom Pakt mit Ankara waren ohnehin schon jene Flüchtlinge, die in der Türkei verfolgt wurden. Davon wird es nach dem von Erdoğan "Gottes Geschenk" genannten Putsch wohl um einige mehr geben. Kurden, Aleviten und progressive und liberale Türken werden ihren Platz künftig nicht mehr im Reich des Sultans sehen.

Beitrittsverhandlungen sind gescheitert

Und wenn Erdoğan nun doch auf die Einführung der Todesstrafe verzichtet, dann gehen die Beitrittsverhandlungen planmäßig weiter? Die Massenverhaftungen und Entlassungen zehntausender Richter, Staatsanwälte, Polizisten und anderer Beamter – eine offensichtlich von langer Hand geplante Säuberungswelle gegen Oppositionelle – sind kein "K.-o.-Kriterium"?

In Wahrheit sind die Verhandlungen längst gescheitert, denn Erdoğans Politik ist nicht erst seit dem amateurhaften Militärputsch mit einer EU-Mitgliedschaft unvereinbar. Und selbst wenn die EU vor Erdoğans Krieg gegen die Kurden, der Leugnung des Völkermordes an den Armeniern, der Verfolgung kritischer Journalisten und Medien, der Gewalt gegen Homosexuelle und Regierungskritiker, der Einschränkung der Meinungsfreiheit, der Internetzensur und dem offenen Aufruf zur Eroberung Jerusalems im Vorjahr die Augen verschließen würde, kann sie sich eine türkische Mitgliedschaft nicht leisten. Ein bevorstehender Beitritt der Türkei würde auch aus ökonomischen Gründen die Desintegrationstendenzen innerhalb der Union beschleunigen und in vielen Mitgliedsstaaten die Forderung nach einem Austritt stärken. (Michael Vosatka, 19.7.2016)