Hätten wohl auch Kaiser Augustus gefallen: "Salute" heißt die Kollektion von Beistelltischen, die Sebastian Herkner für La Chance entwarf. Herkner sieht die Arbeit mit Marmor als Herausforderung, ein klassisches Material neu zu interpretieren.

Foto: Sebastian Herkner / La Chance

Erstaunlich: Die Brillen von Mora sind aus einem Carbongestell, das von einer Marmorschicht überzogen wird.

Foto: Mora

Ein Tisch von Patricia Urquiola für Budri, der scheint, als würde er aus der Wand fließen.

Foto: Budri

In der Mode wird gern mit dem Schein von Marmor gespielt: Sneakers von Veja.

Foto: Veja

Nackig und kess liegt sie da, die Madame Dircé, in Stein gehauen vor mehr als 180 Jahren. So mancher der neun Millionen Besucher, die jährlich den Louvre besuchen, kann es nicht lassen, ihr kaltes Popscherl zu tätscheln. Als wäre es eine Geste der Empörung, legt Dircé die Hand auf ihren Busen. Dem marmornen Nackedei wurde schließlich ein Extraaufseher zugeteilt. Auch seine Miene ist steinern. Zugeknöpft gibt er Obacht, dass derlei Grapschereien unterlassen werden.

Das erotische Kostüm der Dircé ist das eine, das Material das andere. Marmor hatte immer schon eine magische Anziehungskraft. Es ist seine Kälte, seine Härte, seine mannigfaltige Maserung, die ihn zum Unikat machen – all das lässt Menschen auch außerhalb des Louvre ihre Hand nach dem Stein ausstrecken. Dass er als Werkstoff seit Jahrtausenden für die beeindruckendsten Bauwerke der Supermächtigen und Bonzen zum Einsatz kam, trug das Übrige dazu bei.

Dabei legte sich in den vergangenen Jahrzehnten eine dicke Staubschicht auf den Werkstoff. Zu schwer, zu teuer, zu unflexibel. Seine Verwendung als Protzmaterial in Bädern samt schwanenförmigen, güldenen Wasserhähnen peppte das Image des Steins auch nicht auf. Man suchte im 20. Jahrhundert, vor allem in der zweiten Hälfte, an allen Ecken und Enden nach neuen Materialien: Kunststoff hieß das Zauberwort, das so gut wie alle großen Designer beschäftigte. Kunststoff wurde zum Synonym für die Zukunft im Objektdesign.

Umso mehr verwundert es, dass in Zeiten, in denen diese Zukunft längst angekommen ist, immer mehr Menschen Sehnsucht nach "alten" Materialien haben. Genannt seien Kupfer, Messing, Holz und Stein. Auf den jüngsten Designmessen war es dann vor allem Marmor, der sich in immer mehr Kollektionen hat blicken lassen.

Fließender Stein

Wie im Falle von anderen natürlichen Materialien verspüren offenbar viele Zeitgenossen das Bedürfnis nach Beständigkeit, Einzigartigkeit und Robustheit in Zeiten, in denen aus vielen Richtungen ein steifer Wind pfeift. Was Jahrtausende währte, muss auch Zukunft haben. Das ist ein theoretischer Schluss, der aus dieser neuen Sehnsucht gezogen werden kann. Bei Marmor handelt es sich um eine Gabe von Mutter Natur, vor Urzeiten "gewachsen" und jahrhundertelang die Architektur- und Kunstgeschichte prägend. Doch auch diese Zuwendung zum Natürlichen reicht allein nicht aus, das Comeback von Marmor in Form von Möbeln, Accessoires und auch immer wieder in den Gefilden der Mode zu begründen.

Marmor ist über 600 Jahre, nachdem Michelangelo seinen David aus Carrara-Marmor gehauen hat, einer der neuen Lieblingswerkstoffe vieler Designer, darunter Piero Lissoni, Rodolfo Dordini, Tom Dixon, James Irvine, Philippe Starck oder die Spanierin Patricia Urquiola. Was so manchen Designer anlockt, sind die neuen Technologien, dank deren sich der Stein heute mannigfaltiger denn je verarbeiten lässt. Urquiola fertigte für den italienischen Hersteller Budri unter dem Namen "Papiro" Entwürfe aus Marmor, die zu fließen scheinen. Ein solch fließendes Objekt ist ein Tisch, dessen Untergestell aus Kiefernholz besteht, was einen äußerst spannenden Kontrast entstehen lässt.

Das Unternehmen Mora aus Italien entwickelt Brillengestelle aus Carbonfaser, die mit einer Haut aus Marmor überzogen werden. Mithilfe der Arbeitsweise des CNC-Fräsens (CNC steht für Computerized Numerical Control) können dem Material neue Formen verliehen werden, Marmor lässt sich in diesen Tagen also viel präziser verarbeiten. Mittlerweile ist es möglich, Marmorplatten auf eine Dicke von wenigen Millimetern zu schneiden. Die Herausforderung, die viele Designer kitzelt, lautet, ein klassisches Material völlig neu zu interpretieren. Petrografisch betrachtet, also im Sinne der Gesteinskunde, handelt es sich bei Marmor übrigens um ein Gestein, das durch Umwandlung von Kalkstein und anderen karbonatreichen Gesteinen durch Hitze und Druck im Erdinneren entsteht. Je dichter ein Marmor ist, desto transluzenter kommt er daher.

Suche nach Beständigkeit

Der deutsche Sebastian Herkner, Design-Überflieger des Jahres, begründet das Comeback des Materials mit dem Wunsch nach Natürlich-Authentischem, nach dem Charakter des Unikats und der Varianz, denn Marmor kommt in den unterschiedlichsten Farben, Strukturen und Härten daher. Abgebaut wird er im berühmten Carrara in Italien ebenso wie in China, Deutschland oder dem Iran. Eine Marmorart wird "Cäsarbraun" genannt, weil dieser angeblich der bevorzugte Stein Julius Cäsars war.

Die enorme Vielfalt des Steins macht auch Herkners Beistelltische "Salute" aus. Er entwarf sie für das Unternehmen La Chance. Es handelt sich um säulenförmige Objekte, in welche tablettförmige Ablagen aus Kupfer und anderen Metallen eingearbeitet werden. Herkner spricht in Zusammenhang mit Marmor vom Greifbaren. Psychologisch begründet der Designer, der sein Studio in Offenbach am Main betreibt, das Bedürfnis nach Werkstoffen wie Marmor oder Kupfer folgendermaßen: "Unser soziales Leben findet immer mehr auf Facebook oder anderen Social-Media-Plattformen statt. Es gibt keine Fotoalben mehr, sondern eine Cloud. Das generiert auf der anderen Seite den Wunsch nach Greifbarkeit und Wertigkeit." Darin sieht Herkner den Grund für die Hinwendung zu natürlichen Werkstoffen, aber auch zu trendigen Objekten wie dem schweren Ohrensessel.

Spiel mit Marmor-Optik

Wir schrieben nicht 2016, hätte nicht auch der Schein etwas mitzusprechen, denn der Stein kommt auch nur als Motiv vor, täuscht die Sinne, indem vorgegeben wird, es handle sich um Marmor, was vor allem in der Mode aufgrund des Materialgewichts kaum Erklärungsbedarf übrig lässt. Die Sneakers von Veja zum Beispiel machen den Anschein, als wären sie aus feinstem Carrara-Marmor gehauen – der perfekte Schuh für einen Pantheonbesuch. Dazu passend gibt es aufklebbare Nägel im Marmor-Design vom Nagel-Salon WAH in London.

Bereits vor zwei Jahren zeigte Modedesigner Alexander Wang Schals und Blusen mit Marmor-Prints für Balenciaga. Auch Skateboards verlieh er ein marmornes Aussehen, mit dem Marcus Antonius gute Figur auf dem Weg in den Senat gemacht hätte. Auch Stella McCartney trug das Ihre zum Steinlook bei. Sie entwarf unter anderem ein Laufshirt im Marmor-Look für Adidas oder kombinierte mit ihrer Plexi-Clutch Marmor mit Gold.

Vera Hammer, Leiterin der Mineralien- und Edelsteinsammlung des Naturhistorischen Museums in Wien spricht bezüglich des Marmorhypes von einer "Renaissance der Renaissance". Die Vorzüge des Materials, etwa seine Feinkörnigkeit, sieht sie bereits in der Antike als Grund für die Verwendung von Marmor. "Wenn ein Bildhauer am Nasenspitzerl einer Statue arbeitet und es befindet sich gerade dort eine Störungszone im Material, die die Nase springen lässt, ist die ganze Figur beim Teufel."

Die Anziehungskraft des Materials begründet die Wissenschafterin mit dem Image des Reinen, des Weißen, für das der Marmor trotz seines farblichen Variantenreichtums steht. "Marmor ist ein Symbol für eine versprochene Beständigkeit. Die hat der Stein allerdings gar nicht", erklärt Vera Hammer. Sie steht dem Material in Sachen Einrichtung durchaus skeptisch gegenüber. "Es ist vor allem in der Küche sehr empfindlich, zum Beispiel gegenüber Wein oder Kohlensäure." Auch im Bad empfiehlt die Steinauskennerin, den richtigen Marmor zu wählen, um keine Enttäuschung zu erleben. Kurz und mit den Worten Vera Hammers gesagt: "Die Menschen glauben, Stein sei unvergänglich, aber das stimmt nicht. Auch Stein ist auflösbar." Doch das wusste Drafi Deutscher bereits 1965. Sie wissen schon ... "Marmor, Stein und Eisen bricht". (Michael Hausenblas, RONDO, 22.7.2016)