"Wozu bauen? Irgendwie ist Bauen doch nur ein Verdummungsprozess." Raimund Abraham realisierte knapp 20 Bauten, am liebsten beschäftigte er sich mit dem Ungebauten. Das "Haus mit Vorhängen" ist ein früher utopistischer Entwurf von 1975. ...

Foto: Sammlung Architekturzentrum Wien

... Der österreichische Fotograf Markus Oberndorfer hat das Thema an einer Straßenkreuzung in Los Angeles nachgestellt.

Foto: Markus Oberndorfer

"Papier, Bleistift und Sehnsucht nach dem Raum reichen vollkommen aus, um Architektur zu machen": Raimund Abraham.

Foto: Matthias Cremer

"Ich habe viele Projekte gemacht, die ich gar nicht bauen will", sagt Raimund Abraham, schwarzer Hut, roter Schal, die Zigarre in der Hand. "Überhaupt bin ich der Meinung, dass Architektur nicht unbedingt gebaut werden muss. Papier, Bleistift und die Sehnsucht nach dem Raum reichen vollkommen aus, um Architektur zu machen. Das Bauen ist eigentlich nur der letzte Schritt im Prozess, das Gezeichnete zu übersetzen und die physische Benutzbarkeit und Bewohnbarkeit zu ermöglichen."

Raimund Abraham, 1933 in Lienz geboren, gehört zu den wichtigsten österreichischen Architekten des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit Richard Neutra, Rudolf M. Schindler und Friedrich Kiesler zählt er zu jener Generation, die Österreich den Rücken kehrte, um im Amerika der Sechzigerjahre das nachzuholen, was hierzulande nicht oder nur bedingt gelungen war – sich eine Existenz aufzubauen, sich einen Namen zu machen, einen weltbekannten sogar.

Dem griesgrämigen Osttiroler, der mit kritischen Augen durchs Leben lief und nicht selten die Welt und Architektenschaft beschimpfte und verfluchte, widmet das Lienzer Museum im Schloss Bruck nun eine Ausstellung, die sich nicht nur auf Abrahams gebautes Werk, sondern auch auf seine Zeichnungen, Modelle und idealtypischen, ja fast utopischen Entwürfe und Wettbewerbsbeiträge der Siebziger- und Achtzigerjahre konzentriert. Back Home, so der Titel der Schau, ist die erste Ausstellung seit Abrahams Tod im Jahr 2010. Sie entstand in Kooperation mit dem Architekturzentrum Wien (AzW), das auch die rund 60 Exponate aus Abrahams kürzlich aufgearbeitetem Nachlass beisteuerte.

"Ich ging mit Mundi gemeinsam zur Schule, er war fünf Jahre älter", erzählt Wilhelm Bernard, Freund und langjähriger Wegbegleiter des Architekten, der bei der Ausstellungseröffnung letzte Woche ein paar Minuten in die Vergangenheit schweifte. "Er hat viel geschimpft, er hat vieles nicht ausgehalten, und bei seinem berühmtesten Projekt, dem Austrian Cultural Forum in New York (ACFNY), hat er den Bau sogar kurzfristig gestoppt, weil er mit der Qualität des Betons der New Yorker Baufirmen nicht zufrieden war. Ein Baustopp mitten in New York, das muss man sich einmal vorstellen!"

Akribisch und kompromisslos

Hinter der Unzufriedenheit und unentwegten Verbissenheit Abrahams jedoch steckte eine Detailliebe bis zum letzten Millimeter. "Ich habe nie zuvor jemanden getroffen, der so genau, so akribisch, so kompromisslos an das Bauen heranging wie er", erinnert sich Bernard. "Die Bauarbeiter und Handwerker haben ihn geliebt, weil er es verstand, mit ihnen zu kommunizieren. Und gleichzeitig haben sie ihn verteufelt, weil er nicht einmal den geringsten Fehler duldete und viele Details dutzende Male umplante und bereits Gebautes immer wieder umbauen ließ."

Seine ersten beiden Einfamilienhäuser – darunter das Haus Pless in Wien sowie das Haus für den Salzburger Fotografen Josef Dapra – entstanden Anfang der Sechzigerjahre, als Abraham noch in Wien lebte. Die Kommunikation vor Ort war eine einfache. Als das Haus Dellacher in Oberwart errichtet wurde, weilte Abraham jedoch bereits in den USA. Der Legende nach schickte er die Details und Detailkorrekturen per Post. Manchmal sogar täglich. Beim Haus Bernard Lanz in Tirol (1985) und bei der mittlerweile denkmalgeschützten Hypo-Bank am Lienzer Hauptplatz (1996) wurden die per Hand gezeichneten und oft mehrmals kopierten und ergänzten Detailpläne und Detailplankorrekturen bereits per Fax übermittelt. Und das Fax, erzählt man sich, das krachte und druckte in einer Tour fort.

"Abraham hat gerne mit unterschiedlichen Medien gearbeitet", sagen die beiden Kuratoren der Ausstellung, Christoph Freyer und Anna Stuhlpfarrer. "Zu seinen liebsten Werkzeugen zählten Papier, Bleistift, Buntstift, Fotoapparat und Architekturmodell. Doch eine Zeitlang galt seine Liebe der Kopie." Wie auch schon Joseph Beuys und Heidulf Gerngroß fertigte Abraham viele Collagen, Architekturzeichnungen und utopistische Entwürfe mit dem Kopiergerät an. Einige davon, Bestand des AzW-Nachlasses, werden nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Neben dem Thema Stiege, das Abraham zeit seines Lebens formal zelebrierte, und dem Bauen in beengten Verhältnissen – sowohl die Hypo-Bank in Lienz als auch das 20-stöckige ACFNY in der 52. Straße in Manhattan mussten in eine Baulücke mit nur 7,50 Meter Breite hineingequetscht werden – widmet sich die intellektuelle, scharfsinnig kuratierte Ausstellung jedoch vor allem dem Nichtgebauten – dem stets "Latenten", wie Abraham die gedachte Architektur bezeichnete.

Zu sehen sind frühe Modelle von Fantasiegebilden, die Abraham mit dramatischen Licht- und Schattenkontrasten fotografierte. Zusammengesetzt bilden das Haus ohne Räume, das Haus mit Blumenwänden, das Haus mit permanentem Schatten, das Haus mit zwei Horizonten und das Haus mit Vorhängen eine fiktive, ja fast Angst einflößende Stadt. Nirgendwo manifestiert sich die Kompromisslosigkeit des Zigarre paffenden, Feste schmeißenden und Abendessensgelage veranstaltenden Hedonisten mehr als in diesen 1975 entstandenen Hauslandschaften, in diesen unheimlichen, eingefrorenen Momentaufnahmen, deren Unechtheit man zugleich bejubelt und bedauert.

Ergänzt wird die Ausstellung von einer neunteiligen Fotoserie von Markus Oberndorfer. Der österreichische Fotograf studierte das Werk Abrahams und suchte nach Analogien zu dessen formal-ästhetischen Welten in der banalen, ganz alltäglichen Gegenwart in den USA. An der Ecke South Main Street und East 5th Street in Los Angeles bannte Oberndorfer einen Zaun mit wehendem Baustellenvorhang auf Zelluloid.

Es ist das Straßeneck, an dem Raimund Abraham am 4. März 2010 kurz nach seinem Abschiedsvortrag am Southern California Institute of Architecture in Los Angeles mit einem Bus zusammenstieß und dabei tödlich verunglückte. Letztendlich wurde sein ganz persönliches Haus mit Vorhängen doch noch gebaut. (Wojciech Czaja, Album, 28.7.2016)