Mit Workshops, etwa hier an der Fachhochschule Campus Wien, sollen Mädchen verstärkt in technische Berufe gebracht werden. Die Berufswahl erfolgt oft entlang von Stereotypen, die auch von Lehrkräften und Eltern vermittelt werden.

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Wien – Im Bildungssystem sind Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern besonders augenscheinlich. Zuletzt haben die Ergebnisse der Zentralmatura gezeigt, dass Schülerinnen in Mathematik wesentlich öfter durchfallen als Schüler. Abhilfe soll eine neue Unterrichtsmethode schaffen.

Bei der Veröffentlichung der Pisa-Studie im Jahr 2013 hat die OECD Österreich gewarnt: Vor allem in Mathematik werden die Unterschiede immer größer. Die männlichen Kollegen erreichten 22 Punkte mehr, das entspricht dem Wissen eines halben Schuljahres. Die Mädchen sind im Lesen um 37 Punkte voraus.

Mehr Schulabbrecher

Auch die Bildungskarrieren unterscheiden sich. Im Studienjahr 2012/13 gab es erstmals mehr als 60 Prozent Absolventinnen an den Universitäten. Junge Männer sind wiederum öfter von Arbeitslosigkeit betroffen und brechen die Schule häufiger ab.

Warum gibt es diese Unterschiede? Die Bildungspsychologinnen Barbara Schober und Christiane Spiel sind sich sicher, dass die Umwelteinflüsse und die Sozialisation eine sehr große Rolle spielen. "Oft schließt man von den Leistungsunterschieden auf biologische Ursachen, aber dafür gibt es keine Belege", sagt Schober zum STANDARD. "Durch das Verhalten der Umwelt werden die Kinder in eine gewisse Richtung gedrängt", ergänzt Spiel.

Eltern kaufen ihren Kindern häufig immer noch Spielzeug, das den Geschlechterstereotypen entspreche, was wiederum Lerneffekte hat, die sich später auf die Schulkarriere auswirken. Während das Spielen mit Puppen mehr das Sozialverhalten fördert, lernen Buben mit Bauklötzen räumliches Denkvermögen, sagt Spiel.

Auch Lehrerinnen und Lehrer haben Einfluss. Viele gehen davon aus, dass Schülerinnen besser in Sprachen und Schüler begabter in technischen Fächern sind. Bei einer guten Note in Mathematik werden Schülerinnen häufiger dafür gelobt, viel gelernt zu haben, von einem Talent gehen die Pädagogen seltener aus, sagt Schober. "Mädchen werden öfter für Fleiß gelobt, Burschen mehr für ihre Fähigkeiten."

Zudem gelten Buben als fauler, was dazu führt, dass sie es cool finden, nur wenig zu lernen, was wiederum zu mehr Schulabbrüchen führt, sagt Spiel.

Weniger Stereotype

Um geschlechtergerechten Unterrichten zu forcieren, hat der Bereich Bildungspsychologie an der Universität Wien konkrete Unterrichtsmethoden zur "reflexiven Koedukation" entwickelt und ein Jahr lang Pädagogen im Rahmen des Projekts Reflect geschult.

Das Ziel: weniger Geschlechterstereotype im Unterricht. 38 Lehrerinnen und Lehrer aus 26 Schulen nahmen vier Mal zwei Tage lang an dem Projekt teil. Einerseits reflektierten sie dabei ihre eigenen Vorurteile, andererseits lernten sie, wie sie die Kinder individuell fördern können.

"In dem Moment, wo ich es schaffe, individuell auf Schüler und Schülerinnen einzugehen, fällt viel von den Geschlechterstereotypen weg. Die Varianz zwischen den Kindern ist viel höher als zwischen den Geschlechtern", sagt Schober. Ihre Kollegin Spiel ergänzt: "Bei passenden Themen sollten die Lehrkräfte das Geschlecht auch konkret ansprechen, etwa bei der Berufswahl."

Erkenntnisse nicht flächendeckend umgesetzt

Die Evaluation des Projekts hat gezeigt, dass die geschulten Lehrerinnen und Lehrer sich eher zutrauen, die Geschlechterrollen aufzubrechen. "Viele glaubten davor nicht, dass sie so tief in der Gesellschaft verankerte Prozesse beeinflussen können", sagt Schober. Das Projekt ist beendet und damit auch die Schulungen. Obwohl die Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist, gibt es keine Strukturen, die ermöglichen, dass Erkenntnisse flächendeckend an die Schulen weitergegeben werden.

"Innovationen im Bildungssystem scheitern oft daran, dass es keine Stellen gibt, die sich damit beschäftigen, die Änderungen nachhaltig ins Feld zu bringen", sagt Schober.

Derzeit werden zwar Reformen wie die Bildungsstandards und die Zentralmatura eingeführt, aber mit zu wenig systematischer Begleitung der Veränderungen in den Schulen, kritisiert die Psychologin. "Was dann herrscht, ist Unsicherheit." (Lisa Kogelnik, 25.7.2016)