Fast war man erleichtert, als am Samstag klar wurde, dass der Amoklauf von München "nur" ein Amoklauf war – und kein weiterer Terroranschlag. Man dachte vielleicht: Amokläufe passieren eben, solange es gemobbte und ausgegrenzte junge Menschen da draußen gibt, die Waffen im Internet kaufen können. Und man lag damit vermutlich falsch. Denn selbst die größte Kränkung, selbst die labilste Psyche machen noch keinen Massenmörder. Bei aller Notwendigkeit, Begriffe wie Amoklauf, Terrorangriff und Attentat kriminologisch voneinander abzugrenzen: Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Verbindungen bei Ursachen und Motiven der Tat geben kann. Die zentrale Frage bleibt: Warum töten Menschen?

Was sie letztendlich zu (Massen-) Mördern macht – und das sind islamistische Attentäter wie Amokläufer -, ist eine der großen Fragen für Psychiatrie und Wissenschaft. Handelt ein über Jahre gekränkter Täter in suizidaler Absicht und dreht im letzten Akt noch rasch das Narrativ seines Lebens, indem er sich zum Star eines Spektakels macht, dem die Massen via Social Media folgen? Verwirklicht nicht auch der islamistische Attentäter die finale Umkehr von "Unten" und "Oben", wenn er sich in destruktivem Hass auf "den Westen" mit möglichst vielen "Ungläubigen" ins Jenseits bombt, wo ihm paradiesische Zustände versprochen sind?

Die Antwort auf die Frage, was Menschen zu Bomben, zu Messern und Macheten greifen lässt, was sie in mörderischer Absicht in Autos steigen lässt, diese Antwort entscheidet darüber, wie Gesellschaft und Politik solche Taten vermeiden wollen. Deswegen ist diese Antwort wichtig; deswegen ist sie das Gegenteil einer Relativierung der Tat. Und darum wird es kompliziert, wenn Ursachen und Motive verschwimmen.

Wird ein Anschlag als "terroristisch" eingestuft, sind staatliche Maßnahmen rasch bei der Hand: Überwachen, Kontrollieren, Datensammeln. Polizei und Militär in Stellung bringen. Radikalisierung vorbeugen: Das ist auch die gängige Reaktion, wenn sich Attentäter in letzter Minute blitzradikalisieren, im Islamismus lediglich einen praktischen Readymade-Überbau für die eigene Tat finden. Der IS freut sich auch über diese "Krieger", er hat es nicht nötig, seinen Terror in die rationalen Schablonen westlicher Terrorexperten einzupassen.

Auch die Reaktionen auf Amokläufe sind reflexhaft: Da kommen die Forderungen nach einem Verbot von Waffen und Gewaltspielen, gefolgt von der Ansage, man möge bitte mehr tun gegen Mobbing in Schulen.

Alles richtig, alles wichtig. Was in beiden Reaktionsketten fehlt: eine grundlegende Kritik einer Ästhetisierung der Gewalt, die auch Medien betreiben. Es fehlt eine Kritik jener autoritären Männlichkeit, die sich selbst und anderen mit gröbster Härte begegnet, "unmännliche" Triebe abwehrt, auf andere projiziert und an diesen bekämpft. Und es fehlt eine gründliche Analyse jenes nihilistischen Hasses auf "den Westen", den Menschen entwickeln können, wenn sie sich eigentlich danach sehnen, Teil davon zu sein. Doch es wäre verfehlt, Jihadismus nur als psychiatrisches Phänomen zu diskutieren. Islamismus und individueller Wahn sind kein Widerspruch – im Gegenteil. Wer ein stabiles Ich besitzt, sich selbst mag und die Erfahrung gemacht hat, von anderen gemocht zu werden, ist weniger leicht fanatisierbar. Das weiß auch der IS. (Lisa Mayr, 27.7.2016)