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Historischer Moment in der Wells-Fargo-Arena zu Philadelphia: Hillary Clinton wird – was ohnehin klar war – zur Kandidatin im Rennen um das weiße Haus nominiert.

Foto: Reuters / Charles Mostoller

Für Gloria Goodwin ist die Sache klar. "Wir haben Geschichte geschrieben, es ist vollbracht", sagt sie und lächelt ein versonnenes Lächeln. Die zierliche schwarze Frau hat sich herausstaffiert für diesen Abend, der in die Chronik eingehen soll. Auf dem Kopf trägt sie einen Hut in den Landesfarben, blau mit roter Krempe, von dem eine weiße Feder absteht. Die Buttons auf ihrer Bluse handeln fast alle von Frauenpower.

Goodwin kommt aus Jacksonville, einer Kleinstadt in North Carolina. Als Delegierte hat sie Hillary Clinton ihre Stimme gegeben. Nun ist es amtlich: Clinton ist die Kandidatin. Zum ersten Mal hat eine Frau die Chance, ins Weiße Haus einzuziehen. Goodwin spricht von einem Moment, der überfällig war: "Wir Frauen haben zu lange gewartet, dass endlich eine von uns im Oval Office regiert. Wir managen sonst ja alles, unsere Familien, unsere Firmen, unsere Männer." Dann erzählt sie von der Rassentrennung, deren Demütigungen sie noch miterlebte – "all die Stereotype, der ganze Dünkel". Und nun, so sieht es Goodwin, hat man auch mit dem letzten Vorurteil aufgeräumt, mit dem Märchen, wonach eine Frau nicht Präsidentin werden kann.

Die Decke kracht auf den Boden

Auf dem Monitor über der Bühne zerspringt derweil eine Glasscheibe in tausende Splitter: Aus Chappaqua, aus ihrer Villa im gediegenen New Yorker Vorortambiente, meldet sich Hillary Clinton zu Wort.

Die Sache mit dem Glas, das ist ihr Motiv, seit sie vor acht Jahren nach ihrer Niederlage gegen Barack Obama die Zukunft beschwor: Die Glasdecke, die Frauen den Zugang zur obersten Etage der Politik versperre, werde schon bald krachend zu Boden fallen.

Nun, sagt Clinton, habe diese Decke einen so breiten Riss wie noch nie. Sollten zu dieser späten Stunde noch irgendwo kleine Mädchen wach sein, so wolle sie ihnen nur sagen: Ich könnte die erste Präsidentin sein, aber eine von euch ist die nächste!"

Davor hatte Hollywoodstar Meryl Streep von der Mischung aus Charakterstärke und Anmut gesprochen, mit der Frauen sich immer nach vorn kämpfen müssten. Und auch Bill Clinton, noch immer einer der begabtesten Geschichtenerzähler der US-Politik, hatte aus dem gemeinsamen Leben mit Hillary erzählt.

Umjubelter Bill Clinton

Der 42. Präsident der USA versuchte ein Hillary-Bild zu zerpflücken, wie es sich bei einer Mehrheit seiner Landsleute in den Köpfen festgesetzt hat. Den einen ist sie zu kühl, zu abgehoben. Andere nehmen ihr ihre Nähe zum "big money" übel, symbolisiert durch ihre üppig bezahlten Reden bei der Investmentbank Goldman Sachs. Laut Umfragen haben zwei Drittel kein Vertrauen in Hillary Clinton. Gäbe es nicht Donald Trump, wäre sie die unpopulärste Präsidentschaftsbewerberin der jüngeren Geschichte.

"Im Frühjahr 1971 traf ich ein Mädchen", beginnt Bill wie beiläufig eine Reihe von Anekdoten. Er schildert eine Studentin ohne Make-up, dafür mit selbstverständlicher Selbstsicherheit, die ihm imponierte und die sich dann irgendwann auch für ihn interessierte. Er erzählt, wie er Hillary Rodham den Hof machte, wie sie zwei Heiratsanträge abschlägig beschied, bevor sie beim dritten Ja sagte. Wie er eine Gouverneurswahl in Arkansas verlor, nachdem er die erste gewonnen hatte und sie keinerlei Weinerlichkeit aufkommen lassen wollte. Er erzählt davon, wie die junge Juristin durchs ländliche Alabama fuhr, wo weiße und schwarze Kinder trotz rechtlicher Gleichstellung allzu oft in getrennten Klassenzimmern saßen. Oder durch South Carolina, wo sie herausfinden wollte, warum sich Minderjährige mit Erwachsenen Gefängniszellen teilen mussten.

Das sei die echte Hillary, fasst Bill zusammen und fragt mit spöttischem Unterton, worin denn eigentlich der Unterschied bestehe zwischen seiner Darstellung und der Karikatur, die der politische Gegner von seiner Frau zeichne – und gibt selber die Antwort: "Die eine Frau ist echt, die andere ist erfunden." Da könne man doch von Glück reden, dass die Delegierten die echte Hillary Clinton nominiert hätten.

Protestrufe für Sanders

Draußen, hinter Absperrgittern, lassen derweil die hartnäckigsten Hillary-Gegner ihrem Ärger freien Lauf. "Das ist der Tag, an dem Trump die Wahl gewonnen hat!", schimpft Barry Neigh, ein Aktivist aus Massachusetts. "Die Delegierten hatten einen einzigen Job: Sie sollten einen Kandidaten aufstellen, der Trump im Herbst besiegen kann. Und das wäre Bernie Sanders gewesen, niemand sonst." Auf Postern steht das Wortspiel "Hill No": "Hillary" kombiniert mit "Hell No" (zur Hölle: nein).

Drinnen lässt die Regie Männergesichter über die Leinwand laufen wie bei einer Diashow. An erster Stelle George Washington, an letzter Barack Obama. 44 Präsidenten, viele mit Bart: Nur um klarzumachen, was es für die Annalen des Weißen Hauses bedeutet, sollte Hillary Clinton im November das Rennen machen. (Frank Herrmann aus Philadelphia, 27.7.2016)