Am Makartsteg im Stadtzentrum wurde 2013 die erste thematische Ausstellung zur Migration in Salzburg eröffnet.

Foto: Stadtarchiv Salzburg

Heuer findet am Makartsteg eine Ausstellung zum 50-jährigen Jubiläum des Anwerbeabkommens mit dem ehemaligen Jugoslawien statt.

Foto: Stadtarchiv Salzburg

Kaum ein Aspekt der österreichischen Nachkriegsgeschichte wird in der Öffentlichkeit so kontrovers diskutiert wie die Arbeitsmigration. Von den 1960er-Jahren bis heute prägen die Generationen der Gastarbeiter, Arbeitsmigranten und Kriegsflüchtlinge das Bild des Landes entscheidend mit. In diesem Jahr feiert Österreich den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens mit dem ehemaligen Jugoslawien, im Zuge dessen zehntausende jugoslawische Gastarbeiter nach Österreich zogen, um – wie sich später herausstellte – für immer hier zu bleiben.

Die Geschichts- und Ethnologieforschung zeigte jedoch bis vor wenigen Jahren relativ wenig Interesse an den Migrationsströmungen nach dem Zweiten Weltkrieg. "Österreichische Historiker haben sich wenig bis gar nicht mit der Migrationsgeschichte befasst", sagt Sylvia Hahn, Migrationsforscherin und Vizerektorin für internationale Beziehungen und Kommunikation der Universität Salzburg. Sie weist darauf hin, dass auch die einheimischen Archive kaum Artefakte oder Schlagworte zum Thema Migration enthalten. Hahn ist es jedoch gelungen, die Stadt Salzburg von der Bedeutung der Migrationsgeschichte zu überzeugen, denn: "Es ist wichtig, die Geschichte der Zuwanderinnen und Zuwanderer im 20. Jahrhundert zum Teil von Salzburgs Geschichte zu machen."

Fester Teil des Stadtarchivs

Erste bedeutende Schritte zur Archivierung und Dokumentation der Salzburger Migrationsgeschichte wurden mit der Initiative "Wissensstadt Salzburg" unternommen. Am prominenten Makartsteg im Stadtzentrum wurde 2013 die erste Ausstellung zur Migration in Salzburg eröffnet. Heuer findet am selben Ort eine Ausstellung zum 50-jährigen Jubiläum des Anwerbeabkommens statt, weitere Ausstellungen sind geplant.

Für Hahn war es wichtig, die Migration in Salzburg nicht nur in Form von Ausstellungen, sondern auch längerfristig zu dokumentieren. Bei Bürgermeister Heinz Schaden (SPÖ) stieß sie dabei auf offene Ohren. Daraufhin wurde im Stadtarchiv eine Fachkraft speziell beauftragt, die Migration in der Stadt zu dokumentieren. "Uns war vor allem wichtig, ausführliche Interviews mit der ersten Generation der Arbeitsmigranten und ihren Nachkommen zu führen", sagt Hahn. Auch Fotomaterial wird bereits gesammelt. "Arbeitsmigranten sind ein wichtiger Teil unserer Vergangenheit und Gegenwart, sie haben in vielfältiger Form am Aufbau unseres Wohlfahrtsstaates mitgewirkt", sagt Hahn.

Tirolerisch und migrantisch

Auch in Tirol laufen seit einigen Jahren Projekte zur Dokumentation und Archivierung der Migrationsgeschichte. Ein Startschuss wurde 2014 mit dem Projekt "Erinnerungskulturen – Dialoge über Migration und Integration in Tirol" am Zentrum für MigrantInnen in Tirol (Zemit) gegeben. Das vom Land, der Stadt Innsbruck und dem Tiroler Städtebund geförderte Projekt hatte – ähnlich wie in Salzburg – zum Ziel, anhand authentischer Interviews den Alltag der Arbeitsmigranten aus den 1960er- und 1970er-Jahren zu dokumentieren. Begonnen wurde in Innsbruck, Jenbach und Fulpmes. Bisher wurden im Rahmen des Projekts rund 70 Zeitzeugen befragt.

Seit 2014 intensivierte das Zemit Bemühungen um die Dokumentation der Migrationsgeschichte in Tirol. Neben dem Land, der Stadt Innsbruck und dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck wurde auch das Tiroler Bildungsforum mit zahlreichen ehrenamtlichen Lokalhistorikern für die Initiative gewonnen. 2015 kam mit den Landesmuseen ein weiterer wichtiger Partner hinzu. Diese Institutionen organisieren heuer gemeinsam die Ausstellung "Alles fremd. Alles Tirol" im Tiroler Volkskunstmuseum. "Die Ausstellung hinterfragt, was denn das 'Tirolische' sei, welche unterschiedlichen kulturellen Bezüge sich in Tiroler Handwerk und Tradition wiederfinden und welche Entwicklungen nur aufgrund von Kulturkontakten möglich waren", sagt Christina Hollomey-Gasser vom Zemit.

Die Ausstellung ist nur der erste Teil einer Ausstellungstrilogie zu Tirols Migrationsgeschichte: "Voraussichtlich im Juni 2017 wird auf Basis der Sammelaktivitäten im Tiroler Volkskunstmuseum eine Ausstellung zur Geschichte der Migration in Tirol nach 1945 eröffnet, und 2018 endet unsere Initiative vorläufig mit der Konzeption einer Veranstaltungsreihe im Landesmuseum Ferdinandeum", erklärt Hollomey-Gasser. Parallel dazu entsteht am Zemit seit vergangenem Jahr ein Dokumentationsarchiv Migration Tirol (Dam), das vom Land gefördert wird. "Das Ziel des Dam ist ein langfristiges. Da bisher in den bestehenden Archiven und Chroniken Migration keine oder nur eine sehr geringe Rolle gespielt hat, besteht viel Nachholbedarf. Sollte das Zemit einmal nicht mehr existieren, wird das Dam an eine öffentliche Einrichtung übergeben", so Hollomey-Gasser.

Im Ländle geblieben

Viele Arbeitsmigranten aus der Türkei und Ex-Jugoslawien kamen im Zuge der Gastarbeiterwelle seit den 1960er-Jahren auch nach Vorarlberg. Auch hier bemüht man sich auf der Landesebene, die Migrationsgeschichte zu dokumentieren und zu archivieren. Der bosnischstämmige Slawist und Autor Elmar Hasović dokumentiert im Auftrag des Vorarlberg Museums den Alltag der exjugoslawischen Migranten im Bundesland. "Ich habe bisher rund 30 standardisierte Fragebögen und Interviews für die erste Generation der Arbeitsmigranten und die Generation der Flüchtlinge aus den 1990er-Jahren konzipiert und durchgeführt", sagt Hasović, dem dabei das Kölner Dokumentationszentrum für Migration als Vorbild diente. Parallel dazu sammelt er bereits das dritte Jahr in Folge Gegenstände aus dem Alltag der exjugoslawischen Migranten. "Bisher habe ich rund 100 Artefakte gesammelt, von alten jugoslawischen Pässen und Plakaten von Sportvereinen bis hin zu Mitgliedskarten, Audiokassetten und Urkunden", erklärt er. Die Interviews und Artefakte werden Teil des Migrationsarchivs im Rahmen der Abteilung für europäische Ethnologie im Vorarlberg Museum.

Wien hinkt nach

Seit einigen Jahren ist die Archivierung und die Dokumentation der Migrationsgeschichte auch in Wien ein Thema, derzeit jedoch ohne längerfristige Perspektive. Die Initialzündung kam bereits 2012 mit der Medienkampagne "Für ein Archiv der Migration, jetzt!" und der anschließenden Gründung des Arbeitskreises "Archiv der Migration". Einer der Organisatoren dieser Initiative ist der Philosoph und Migrationsforscher Ljubomir Bratić.

Er bemängelt die Bereitschaft der Stadt, ein Archiv der Migration langfristig zu etablieren: "Die Idee, ein Archiv der Migration zu gründen, hat hier in Wien im Unterschied zu Vorarlberg, Tirol oder Salzburg leider nicht gefruchtet", sagt Bratić. Durch die Finanzierung der MA 17 wurden zwar Artefakte der ersten Arbeitsmigrantengeneration für das Wien-Museum gesammelt, allerdings ohne feste Absicht, daraus ein Archiv der Migration zu gründen. Das Projekt wird Ende Juli abgeschlossen, eine Verlängerung ist ungewiss.

Die wichtige Rolle der Migranten für die Nachkriegsgeschichte Österreichs wird mittlerweile von beinahe allen politischen Lagern nicht in Abrede gestellt. Für die Erforschung und Dokumentation der Migrationsgeschichte fehlt es aber hierzulande immer noch an einem systematischen Zugang. Den Alltag der Migranten gründlich zu erforschen könnte Österreich jedoch durchaus helfen, sich mit aktuellen und künftigen Herausforderungen der Migration besser auseinanderzusetzen. (Nedad Memić, 29.7.2016)