Bevor die Kettensäge ihre Arbeit tut: "The Twins" Florentina Holzinger (li.) und Annina Machaz in der Performance "Body + Freedom".

Foto: Thomas Lenden

Wien – Eine Gruppe lustig verkleideter junger Leute ruft im Stiegenhaus des Mumok: "Bussi, Kant! Bussi, Kant!" Auf den ersten Blick sieht das aus, als hätte es die Wiener Spaßgruppe Philosophy Unbound am Mittwoch endlich auch zu Impulstanz geschafft und kollektiv an dem Workshop "Critical Joy" teilgenommen.

Dieser Kurs war beliebt, weil ihn neben dem Performer Keith Hennessy auch die Popsängerin Peaches leitete. Ihrem Namen ist es zu verdanken, dass die Abschlusspräsentation von "Critical Joy" im Museum zu einem Open-Air-Konzert im Haupthof des Museumsquartiers ausuferte.

Wie cool, ein Choreograf und eine Popgröße haben Spaß an Kant, und die sexy Partygruppe im Museum macht eine Manifestation für den guten Immanuel. Schließlich hat der Philosoph als 22-jähriger Heißsporn seine "Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte" hingelegt, in denen er sich mit dem damals, 1746, sakrosankten Werk des Rationalisten Gottfried Wilhelm Leibniz matchte.

Als Motto hatte sich Kant ein Seneca-Zitat gewählt, dem zufolge man bitte schön nicht der Herde folgen, sondern eigene Wege gehen sollte. Was für ein Stoff, um der Philosophie jenen queeren Glamour einzuimpfen, wie ihn etwa die Wiener Sublim/nes-Gang schon längst probt.

Bei näherem Hinhören allerdings klang das "Bussi, Kant!" im Museum seltsam amerikanisiert, wie: "Pussy – cunt!" oder "Pussy can't!" Das Erstere wäre mit "Muschi – Fotze" zu übersetzen und das Letztere hieße ungefähr: "Kätzchen kann nicht!" Und schon schien der Traum vom genialen Queering der kulturellen Referenzen geplatzt. Aus der zerstörten Blase wären dann ein paar Pubertäre gehüpft, die wirkten, als freuten sie sich, endlich öffentlich schlimme Wörter zu krähen.

Nein, das würde an den wahllosen Gebrauch des Wortes "fuck" im amerikanischen Slang erinnern, den Mister Trump mit einer beachtlichen Anzahl US-amerikanischer Bürger gemeinsam hat ... Okay, aufgewacht: Die Musikerin hat ihren Albumtitel The Teaches of Peaches wörtlich genommen und mit Hennessy eine künstlerische Werkstatt veranstaltet, die unter anderem einen Chor kreißte, der auf Englisch "Muschi – Fotze" jubelte.

"Critical Joy" war gut gemeint. Es ging trotz der ganzen Kopflosigkeit um das Feiern einer aufmüpfigen Ausgelassenheit, die in Zeiten wie diesen ohnehin bedroht ist. Ganz im Sinn auch der Performance Kein Stück Liebe der Ich bin O. K. Dance Company, für die der Rezensent das Peaches-Konzert frühzeitig verlassen hat – gerade, als der Song Wohin, kleines Pony? von Bob Martin gespielt wurde.

Leuchten aus dem Hinterteil

Kein Stück Liebe, eine tatsächlich sehr liebevolle Zusammenarbeit von Tänzerinnen und Tänzern mit und ohne Behinderung, spiegelte ebenfalls entschlossenen Widerstand gegen die Katastrophenstimmung der Gegenwart. Das Stück kam allerdings ohne leeren Behauptungskitsch und Peaches-Ansagen wie "Fuck the Pain Away" aus.

Einen wieder mit "Critical Joy" verwandten Methodenkoffer packt die Österreicherin Florentina Holzinger aus, die ihre Show Body + Freedom serviert. Dafür hat sie sich mit ein paar Kollegen, darunter Annina Machaz und Vincent Riebeek, zu einem "Kollektiv" zusammengetan.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Publikum – es kam zu einem Gutteil vom Konzert im Museumsquartier – hat diese Performance nicht wirklich zu schätzen gewusst. Und zwar weniger, weil die Performer zu Beginn der Show mit in unter anderem Hintern gesteckten Laserlampen durch das vernebelte Odeon leuchteten, sondern weil die Holzingers bei der Uraufführung die Größe hatten, das immer wieder bombastische Anreize triggernde Spektakel gnadenlos in sich zusammenbrechen zu lassen.

Body + Freedom ist die Karikatur einer jener Fernsehshows, in denen die Beteiligten und das Publikum zum Gaudium der Couch-Potatoes zu Hause diverse "Challenges" zu bewältigen haben. Zwei Kameras sind hautnah dabei, das Publikum wird aufgefordert, sich wild auszuagieren. In den Gesichtern der Performerinnen und Performer picken Pinocchio-Nasen: Alles, was da kommt, ist verlogen – wie die Spektakelshows der Boulevardsender.

Deren Nihilismus schleudern Holzinger und Co ihren eigenen entgegen. Und das ohne anbiederndes Augenzwinkern in Richtung der sensationslüsternen Art-Potatoes im Publikum. Daher ist dieser Trash auf jeden Fall heroisch. (Helmut Ploebst, 28.7.2016)