Ich will keine türkischen Verhältnisse in Wien (siehe Kommentar von Hakan Akbulut im STANDARD vom 28.7.2016). Das richte ich nicht nur an die Adresse der Erdoğan-Trupps, die den Aufruf ihres Führers, auf die Straßen zu gehen, auch in Wien befolgen, sondern auch an zwei weitere Adressen: an Außenminister Sebastian Kurz und Innenminister Wolfgang Sobotka.

"Türkische Verhältnisse" sind für mich nicht nur organisierte Angriffe eines Mobs auf Kritiker des Erdoğan-Regimes. Mit "türkischen Verhältnissen" meine ich auch Einschränkungen unserer Freiheiten. Und dazu zählt auch das Recht zu demonstrieren.

Wenn Erdoğan-Anhänger mit dem Bild ihres Führers durch Wiener Straßen ziehen, dann ist das ihr gutes Recht – das Recht, ihre Meinung zu äußern, ebenso wie das Recht, sich lächerlich zu machen. Das gilt ebenso für Identitäre, den Schwarzen Block und andere am politischen Rand unserer Gesellschaft. Sie haben das Recht zu demonstrieren, so wie der Rechtsstaat dabei eine Pflicht hat: bei Übertreten der roten Linie einzuschreiten, mit Polizei und Strafjustiz. Die rote Linie heißt Gewalt, und jeder weiß, wo sie verläuft.

Die Methoden der Erdoğan-Trupps sind jetzt stadtbekannt. Kritiker des Regimes werden mit dem Etikett "PKK-Terroristen" als Angriffsziele markiert. Wenn dann der Mob angreift, waschen die UETD-Funktionäre ihre Hände in treuherziger Unschuld.

Jetzt ist es in Wien so weit, dass sich Geschäftsleute, die seit 25 Jahren österreichische Staatsbürger sind und mehr als 200 Arbeitsplätze geschaffen haben, vor dem Erdoğan-Mob verstecken müssen. Unsere Abgeordnete Berivan Aslan wurde bei einer UETD-Demonstration auf einem Transparent als "PKK-Groupie" denunziert. Das hat längst nichts mehr mit Demonstrationsrecht zu tun. Das ist politischer Terror. Ich bin nicht bereit, das zu akzeptieren.

Seit Jahren lässt Erdoğan in der EU Brückenköpfe bauen. Im Vorfeld der AKP ist die UETD sein politischer Arm. Von der staatlichen Religionsbehörde in der Türkei unterstützt, kümmert sich Atib um die Moscheen. Den schmutzigen Teil der Arbeit erledigen kleine Trupps, die bereits im Internet mit Waffen ihre Drohungen untermalen. Aber wie konnte es so weit kommen?

Die Antwort darauf finden wir nicht in der AKP, sondern in Parteien wie der ÖVP. Jahrelang hat hier im Verborgenen ein gutes Geschäft geblüht. Die AKP hat mit Vorfeldorganisationen wie dem Unternehmerverband Müsiad der ÖVP türkische Stimmen beschafft und sich dafür politische Deckung erhofft. Bis 2013 war die AKP als "Beobachterin" in der Europäischen Volkspartei auch offiziell eine politische Cousine der ÖVP.

Genau in dieses Jahr fällt auch ein bemerkenswertes Wahlplakat der ÖVP. Ihr Müsiad-Kandidat Hasan Vural wendet sich mit ÖVP-Logo an seine Wähler: "O Içimizden Biri – Er ist einer von euch!" Neben ihm lächelt einer von ihnen: Sebastian Kurz.

Ich habe selbst erlebt, wie sehr sich Erdoğan auf Politiker der ÖVP verlassen konnte. Als ich im außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats auf ein Waffenembargo von Saudi-Arabien und Abu Dhabi bis zur Türkei drängte, antwortete der Außenminister mit einem entschiedenen Nein: Der freie Markt dürfe nicht eingeschränkt werden.

Wind hat sich gedreht

Jetzt hat sich der Wind gedreht, und Sebastian Kurz hat seine türkische Cousine weggelegt. Damit war die AKP gezwungen, ihre Strategie auch in Österreich zu ändern. Sie setzt jetzt auf den Ausbau nationalistisch-islamistischer Brückenköpfe. Ihr Ziel ist eine in der Gesellschaft isolierte Volksgruppe, die sich auf die Schutzmacht in Ankara angewiesen fühlt. Jedes antitürkische Ressentiment treibt sie weiter aus unserer Gesellschaft in die schlechte Gesellschaft des Führers in Ankara.

Die neuen Geschäftspartner der AKP sind Parteien wie AfD und FPÖ. Sie profitieren von der Angst vor der Straße, der Hetze gegen andere Kulturen, von türkischen Verhältnissen. Alle anderen verlieren.

Daher ist es so wichtig, unmissverständlich klarzumachen, dass sich unsere offene Gesellschaft vor ihren Feinden schützt. Mit allen Mitteln des Rechtsstaats, mit Augenmaß und ohne eine einzige falsche Rücksicht. (Peter Pilz, 28.7.2016)