An französischen Kiosken werden in Zukunft in weitaus weniger Medien die Bilder und Namen von Terroristen zu sehen sein.

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Es ist schon fast ein Ritual. Nach jedem Terroranschlag – und daran mangelt es in Frankreich nun wirklich nicht – dauert es jeweils ein paar Stunden, bis die Attentäter ein zweites und drittes Mal Schlagzeilen machen. Zuerst sickert "aus Polizeikreisen" ihr Name durch; dann erscheinen die oft blutjungen Killer auch noch im Bild. Im Instant-Zeitalter geht ihnen das oft selbst nicht schnell genug: Der 25-jährige Kleinkriminelle, der im April westlich von Paris in Magnanville ein Polizistenpaar erstach, filmte sich bei der Geiselnahme minutenlang selbst, um das Video via Facebook gleich in Umlauf zu bringen. Auch vom Attentäter von Nizza, der 84 Menschen zu Tode gefahren hatte, zirkulierten bald einmal Selfies von einer Probefahrt mit dem Lastwagen.

Das war für viele Franzosen zu viel. "Wie kann man sich eine größere Glorifizierung vorstellen?", fragten 41 vorwiegend konservative Abgeordnete in einem Schreiben an den Medienaufsichtsrat CSA (der noch nicht geantwortet hat). "Die Qualität der medialen Behandlung eines Terroranschlags ist wesentlich. Es geht darum, zu informieren – ohne zu verherrlichen. Die Glorifizierung und die Terrorisierung sind die beiden Ziele des Attentäters." Eine vielbeachtete Petition eines Mittelschülers aus Nizza appelliert an die Medien, die Identität der Terroristen nicht mehr zu nennen: "Das bringt nichts, abgesehen von der Berühmtheit der Attentäter im Jenseits."

Kaum jemand kritisiert den Professionalismus der französischen Medien, die an sich nicht zum Exzess neigen – landesweit gibt es kein einziges Tabloid. Einen Terroristen wie einen Star auf das Titelbild zu setzen, wie es die US-Zeitschrift "Rolling Stone" 2013 mit Djokhar Tsaernaev gemacht hatte, ist in Paris bisher noch nie vorgekommen.

"Objektiver IS-Verbündeter"

Der Psychiater Richard Rechtman gibt trotzdem zu bedenken: "Wenn nach einem erfolgten Mord gesagt wird, wer der Täter war, wie seine Geschichte lautete und wie er aussah, dann gibt man dem Verbrechen eine Resonanz und macht sich zum objektiven Verbündeten von IS." Der Forscher Jean-Benoît Zimmermann meint, man müsse "diese Individuen in den Schatten und das Nichts verweisen". Auch der Sicherheits- und Medienexperte Eric Delbecque beschrieb in einem vielbeachteten Beitrag, "warum die Informationsgesellschaft den Terroristen in die Hände spielt".

Die Debatte ist für Frankreich nicht neu: Schon bei den Vorstadtkrawallen von 2005 war moniert worden, die laufenden TV-Kameras stachelten die Randalierer zusätzlich an. Doch seit dem jüngsten Mord an einem Priester in der Normandie hat sich die Berichterstattung in Frankreich erstmals geändert. Nur wenige Medien zeigten eine Szene, in der die zwei Attentäter neben einer IS-Flagge ihre irren Bekennersprüche von sich geben. Die Zeitung "Le Monde" hat diese Woche in einem Leitartikel angekündigt, sie werde Terroristen oder Verdächtige nicht mehr abbilden. Die Chefredaktion schränkte zwar tags darauf ein, das betreffe nicht Fahndungsbilder, sondern nur Fotos der Marke "Eigenbau". Mehrere Medien folgten aber dem Entscheid: Die Zeitung "La Croix" sowie der Infosender BFM kündigten an, sie brächten keine Bilder mehr, um den "Barbaren" keinen Nachhall zu geben. Die Radiostation RTL will online das Gleiche tun, die Radiostation Europe 1 verzichtet sogar auf die Nennung der Täternamen.

"Unsere Pflicht ist es, zu informieren"

Das Vorgehen ist allerdings nicht einheitlich. Der Nachrichtenchef von France Télévisions (öffentlichrechtliche Sender), Michel Field, stellte sich vehement gegen eine Sonderbehandlung für Terroristen: "Unsere Pflicht ist es, zu informieren", twitterte er in Großbuchstaben. "Und das Recht der Bürger ist es, informiert zu werden." Das Newsportal Mediapart wirft "Le Monde" sogar "Selbstzensur" vor. Der Vizechef von BFM, Alexis Delahousse, präzisierte darauf: "Wenn wir aufhören, die Bilder zu zeigen, hindert uns das nicht daran, Investigativberichte über ihr Profil und ihren Hergang zu bringen."

Der Jihad-Experte David Thomson meint einschränkend, die Terroristen bräuchten "die Massenmedien gar nicht mehr, um zu existieren". Ihr Hauptaugenmerk gelte heute den sozialen Medien. Der Messermörder von Magnanville habe nicht etwa die Agence France Presse informiert, obwohl sie auch einen Videodienst habe, sondern habe ein Facebook-Konto aktiviert. Die IS-Medienagentur Amaq habe die bereinigte Sequenz dann über ihre Internetkanäle verbreitet.

Der Professor Christian Harbulot ist ebenfalls gegen jede Selbsteinschränkung der klassischen Medien: Das treibe die Terrorsphäre nur noch stärker ins Internet. Und dort liege das eigentliche Problem – "die Resonanz der Terrorgruppen in den sozialen Medien". Aber dieses Problem, bedauert Harbulot, sprenge den Rahmen der französischen Medien. (Stefan Brändle aus Paris, 29.7.2016)