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Getreideernte in Qaha im Nordosten Ägyptens. Die Staatsanwaltschaft hat bereits Weizenhändler festnehmen lassen, die über 200.000 Tonnen Weizen mutmaßlich falsch deklariert haben.

Foto: Reuters / Amr Abdallah Dalsh

Wie zu den Erntekampagnen in den ehemals kommunistischen Ländern berichteten im Frühsommer ägyptische Medien täglich über die Weizenmengen, die von den Bauern an den Staat verkauft wurden. Am Stichtag schlug die Rekordmenge von 4,8 Millionen Tonnen zu Buche, etwa 25 Prozent mehr als erwartet. Insider wunderten sich. "Glaub keine Zahl einer Behörde. Da wird immer Politik gemacht", weiß ein Großbauer aus dem Delta und liefert die Erklärung für die wundersame Vermehrung: Korruption. So groß ist die Kapazität der Silos und Shonas (offene Lager) gar nicht. Die Regierung kauft lokal produzierten Weizen zum lukrativen Preis von 420 Pfund pro Ardeb (198 Liter). Das macht pro Tonne etwa 315 Dollar, deutlich mehr als die 200 Dollar, die es kosten würde, eine Tonne Weizen vom Weltmarkt zu importieren.

Mitglieder einer Fact-Finding-Mission des Parlaments haben unangekündigte Stichproben gemacht und gewaltige Differenzen – teilweise bis 50 Prozent – zwischen den tatsächlichen Mengen in den Silos und den in den Büchern aufgeführten festgestellt. Die Korruption sei systematisch und würde das Land Millionen kosten, erklärte der Parlamentarier Galal Awara gegenüber einer lokalen Zeitung. Im oberägyptischen Assiut hat die Kommission zudem verunreinigten Weizen gefunden. Schätzungen gehen davon aus, dass der Staat möglicherweise "Phantom-Getreide" im Wert von geschätzten 1,2 Milliarden Pfund (etwa 120 Millionen Euro) gekauft hat.

Ägypten ist der größte Getreidekäufer auf dem Weltmarkt. Brot ist ein wichtiges Grundnahrungsmittel für die 91 Millionen Ägypter, das für große Teile der Bevölkerung zu subventionierten Preisen abgegeben wird. Im ägyptischen Dialekt wird deshalb für Brot das Wort "Eish" – Leben – verwendet. Das Land benötigt jährlich rund zwölf Millionen Tonnen Getreide, nur rund 55 Prozent werden lokal angebaut. Jede Regierung muss deshalb die Bevölkerung mit gesicherten Weizenvorräten für mehrere Monate beruhigen.

Erfinderische Profiteure

Korruption im Getreidesektor und im komplexen System der Brotsubventionen ist aber nichts Neues. Für das Jahr 2015 hat das US-Landwirtschaftsministerium geschätzt, dass etwa eine Million Tonnen importierter Weizen als lokale Produktion weiterverkauft und damit Millionen an Subventionen verschleudert würden. Diesem Korruptionsmechanismus sollte in diesem Jahr vorgebeugt werden, indem während der Erntesaison der private Import von Weizen verboten wurde. Die Profiteure haben einen Ausweg gefunden. Sie füllten ihre Lager mit Phantom-Weizen, wahrscheinlich in der Absicht, die fehlenden Mengen später auf dem Weltmarkt günstig einzukaufen.

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft, und der zuständige Minister, der die Ausmaße kleingeredet hat, hat mit der internationalen Zertifizierungsfirma SGS einen Vertrag geschlossen. Der Staatsanwalt hat bis jetzt mehrere lokale Weizenhändler und Silobesitzer festnehmen lassen, die 621 Millionen Pfund für 221.800 Tonnen falsch deklarierten lokalen Weizen erschwindelt hatten.

In den kommenden Monaten wird sich zeigen müssen, ob es der Regierung und Präsident Abdelfattah al-Sisi mit dem Kampf gegen die Korruption wirklich ernst ist und die ganzen verfilzten Strukturen in diesem Bereich ausgehoben werden. Bis jetzt war dieser Kampf unsystematisch, und es gab sogar Vorfälle, die auf Vertuschung hindeuten. Im März wurde per Präsidialdekret der Chef der staatlichen Kontrollbehörde abgesetzt. Der Vorwurf gegen ihn war, er habe das Ausmaß der Korruption übertrieben. Hisham Geneina hatte für die Jahre 2012 bis 2015 von einer Summe von 600 Millionen Pfund gesprochen. Ihm wurde der Prozess gemacht. Ein Gericht in Kairo verurteilte ihn kürzlich zu einem Jahr Haft. Allein beim aktuellen Weizenskandal geht es bereits um höhere Beträge, und das ist nur einer von vielen Fällen. Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wird mit diesem Urteil das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt.

Mit den neuesten Erhebungen von Transparency International werden zudem die Beteuerungen der Regierung, es gebe Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung, widerlegt. Ägypten kam 2015 im jährlich veröffentlichten Korruptionsindex, der die Wahrnehmung von Korruption im öffentlichen Sektor misst, kaum von der Stelle. (Astrid Frefel aus Kairo, 10.8.2016)