Woodhull: Wall-Street-Brokerin, "Cigar Girl", Zeitungsherausgeberin, Prostituierte, Wahrsagerin, Rednerin, Schauspielerin, Parteigründerin und erste Präsidentschaftskandidatin der USA.

Foto: Ulrike Helmer Verlag

Hillary ist nicht die Erste, schon Victoria versuchte es vor ihr: erste weibliche Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden. Während die Chancen Hillary Clintons nicht unbedeutend sind, Ende dieses Jahres das Oval Office in Washington zu beziehen, blieb es bei Victoria Woodhull im 19. Jahrhundert ein ambitionierter Wunsch. Das Frauenwahlrecht wurde erst 50 Jahre nach der Verkündung ihrer Kandidatur in den USA eingeführt. Dennoch, die Geschichte Woodhulls fasziniert.

Antje Schrupp, deutsche Politologin, Bloggerin und Autorin, zeichnet in ihrem soeben erschienenen Buch "Vote for Victoria! – Das wilde Leben von Amerikas erster Präsidentschaftskandidatin Victoria Woodhull (1838–1927)" das Leben jener Frau nach. Und der raumgreifende Untertitel hält, was er auf dem Buchcover verspricht: Die Lebensgeschichte Victoria Woodhulls ist wild.

Tausendsassarin

Es gibt kaum eine Tätigkeit, die Victoria Woodhull in ihrem Leben ausließ: Wall-Street-Brokerin, "Cigar Girl", Zeitungsherausgeberin, Prostituierte, Wahrsagerin, Rednerin, Schauspielerin, Parteigründerin. Und eben: erste Präsidentschaftskandidatin.

Victoria Woodhull wurde 1838 als Victoria Claflin in Homer, US-Bundesstaat Ohio, geboren. Sie stammte aus einer armen, "unehrbaren" Familie – für die gesellschaftlichen Argusaugen so unehrbar, dass einmal ein Mädchen von seiner Mutter mit der Rute geschlagen wurde, weil es sich von den "dreckigen Claflins" einen Apfel hatte schenken lassen. Die Claflin-Familie tingelte im Laufe der Jahre durch verschiedene Orte und verdiente ihr Geld mit mehr oder weniger kreativen Betrügereien.

Männer und Geister

Auch mit den Männern hatte Woodhull nicht immer Glück. Ihr erster Mann kannte Wirtshäuser und Bordelle allzu gut von innen. Spätere Liebschaften waren dann für Victoria, vor allem auf geistiger Ebene, bereichernder. Männer wie James Blood, bald ihr zweiter Angetrauter, boten ihr einen neuen intellektuellen Horizont. Sie selbst war nur wenige Jahre zur Schule gegangen.

Ein Leben lang war sie dem Spiritismus, der Anhörung und Befragung von Geistern und übersinnlichen Wesen, zugeneigt. Sie arbeitete immer wieder als Wahrsagerin. In den Gesprächen erzählten ihr die Frauen von ihren Sorgen und Problemen: Gewalt und Missbrauch in der Ehe, keine Verhütungsmittel, gefährliche Abtreibungsmethoden. Diese Gespräche prägten auch Woodhulls spätere Reden über Feminismus und freie Liebe.

Schwarzes Schaf

1870 verkündete sie in einer Zeitungsannonce im "Herald": "Während andere meines Geschlechts einen Kreuzzug gegen Gesetze führen, die die Frauen des Landes einschränken, habe ich meine persönliche Unabhängigkeit behauptet. Während andere für bessere Zeiten beteten, tat ich etwas dafür. Während andere für die Gleichheit von Frauen mit den Männern argumentierten, habe ich sie unter Beweis gestellt, indem ich eine erfolgreiche Geschäftsfrau wurde." In derselben Annonce kündigte sie ihre Präsidentschaftskandidatur an.

Wegen der Kritik an den meist nur auf theoretischer Ebene vorgetragenen Kämpfen anderer Frauenrechtlerinnen war Woodhull das schwarze Schaf der Frauenbewegung. Bis vor nicht allzu langer Zeit blieb sie unbekannt.

Provokativ und weitsichtig

Dabei waren die Forderungen ihres Parteiprogramms aus heutiger Sicht mehr als "nur" feministisch: Einrichtung eines sozialen Wohlfahrtssystems, Achtstundentag, eine öffentliche Erziehung der Kinder, Abschaffung der Todesstrafe und die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs zur Schlichtung von Konflikten zwischen verschiedenen Ländern mithilfe einer internationalen Armee. "Victoria hat sich nie die Frage gestellt: Was darf ich, was ist mir erlaubt? Sondern: Was will ich und wie kann ich das, was ich will, erreichen?", schreibt Antje Schrupp.

Was sich zunächst wie eine Lobeshymne auf die Protagonistin anliest, entpuppt sich bald als spannende Biografie einer einzigartigen Persönlichkeit. Autorin Antje Schrupp entdeckte die Lebensgeschichte Woodhulls, als sie in den 1990er-Jahren ihre Doktorarbeit in Politischer Ideengeschichte über feministische Sozialistinnen in der Ersten Internationale schrieb. "In einer 'Wer wird Millionär'-Show war die Frage nach Amerikas erster Präsidentschaftskandidatin damals noch 500.000 Dollar wert, also: Kein Mensch kannte sie", schreibt Schrupp. Das könnte und sollte sich mit diesem Buch nun ändern.

Denn: Victoria Woodhull war ambitioniert, provokativ, tatkräftig, weitsichtig. Genau das, was frau sich auch von einer Präsidentschaftskandidatin anno 2016 wünscht. (Milena Österreicher, 14.8.2016)