Einer der acht Patienten, die mit einem aufwendigen Exoskelett trainieren, das über eine Gehirn-Maschinen-Schnittstelle bewegt wird. Ein überraschender Effekt des Trainings war, dass es den Probanden zu ein wenig Gefühl und Bewegungskontrolle in den Beinen verhalf.

Foto: AASDAP/ Lente Viva Filmes

Das Training beginnt mit einem mittels VR-Brille und Neuro-Feedback gesteuerten Avatar.

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São Paulo / Wien – Manchen ist das Projekt womöglich von der vergangenen Fußball-WM in Brasilien noch in Erinnerung. Bei der Eröffnungszeremonie machte ein querschnittgelähmter Mann namens Julian Pinto mithilfe eines hirngesteuerten Exoskeletts den symbolischen Anstoß zum Eröffnungsmatch.

Die Aktion war vom brasilianischen Wissenschafter Miguel Nicolelis, der an der Duke University in den USA arbeitet, etwas vollmundig angekündigt worden: Der junge Mann würde mit der Roboterprothese aus seinem Rollstuhl aufstehen und womöglich sogar bis zum Mittelkreis gehen. Letztlich musste der Mann gestützt werden, ehe er am Spielfeldrand mit Gedankenkraft das rechte Bein bewegte und den Ball anstupste. Immerhin.

Diese Aktion stand auch mehr oder weniger am Beginn des internationalen Projekts "Walk Again", an dem unter der Leitung der Duke University insgesamt mehr als hundert Forscher aus 25 Ländern beteiligt sind, unter anderem auch der ETH Lausanne in der Schweiz. Auf der Seite der Patienten gibt es acht vollständig Querschnittgelähmte, die seit drei bis 13 Jahren gelähmt sind und vor rund zwei Jahren mit der speziellen Roboterprothese zu üben begannen.

Video: Miguel Nicolelis erläutert die neuen Forschungsergebnisse.
NPG Press

Konkret besteht diese Prothese aus einem sogenannten Exoskelett, das Beine und Oberkörper von Querschnittgelähmten umschließt, sowie einer nichtinvasiven Gehirn-Maschinen-Schnittstelle (Brain-Machine Interface, BMI): Eine eng anliegende Kappe mit Elektroden zeichnet Hirnsignale auf, die anschließend in die Bewegung des Avatars umgesetzt werden, der wiederum mittels spezieller Brillen sichtbar wird.

Am Beginn stand für die Patienten das Training in virtueller Realität mit entsprechenden Brillen, wodurch dem Gehirn wieder beigebracht wurde, die eigenen Gliedmaßen anzusteuern. Über einen speziell ausgestatteten Ärmel erhielten die Patienten Neurofeedback in Form von Druck und Vibrationen auf den Unterarm. Je nach dem Untergrund, auf dem die virtuelle Version der eigenen Beine lief, gab es ein etwas anderes Signal. Dieser Trick erzeugt im Gehirn die Illusion, tatsächlich die eigenen Beine zu fühlen und zu bewegen.

Training reaktiviert Gefühl

Hatten die Probanden erst einmal gelernt, gut übersetzbare Hirnsignale zu erzeugen, trainierten sie mit dem richtigen gehirngesteuerten Exoskelett, das ihnen eigentlich dabei helfen sollte, den Rollstuhl hinter sich zu lassen und selbst zu gehen.

Dieses intensive Trainingsprogramm hatte aber einen verblüffenden positiven Nebeneffekt, wie das Forscherteam um Miguel Nicolelis nun im Fachblatt Scientific Reports berichtet: Mehrere der Patienten gewannen nach sieben Monaten ein wenig Gefühl und ein klein wenig auch die motorische Kontrolle unterhalb der Rückenmarksverletzung zurück.

Bei vier der acht Patienten waren die Veränderungen so deutlich, dass nach einem Jahr Training die Diagnose von komplett auf "teilweise gelähmt" abgeändert wurde. Bei den meisten verbesserte sich zudem die Kontrolle über Blasen- und Darmfunktion und machte sie etwas weniger abhängig von Kathetern und Abführmitteln.

Nicolelis und sein Team erklären die überraschende Nebenwirkung damit, dass selbst bei jenen Patienten, die als vollständig gelähmt diagnostiziert werden, noch einzelne Nervenfasern im Rückenmark intakt sind. Diese würden aber in einen Ruhezustand fallen, weil vom Gehirn keine Signale an die Muskeln gingen. Vermutlich habe das BMI-basierte Training diese verbliebenen Nerven reaktiviert. (Klaus Taschwer, 13.8.2016)