Die Bemühungen des IOC und der Organisatoren, Rios Realität zu verbergen, sind zum Scheitern verurteilt.

Foto: APA/AFP/ADRIAN DENNIS

Bild nicht mehr verfügbar.

Olympionike Ryan Lochte, prominentes Überfallopfer.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/Mike Comer

Egal ob in brasilianischen Telenovelas oder in der Olympia-Berichterstattung – in Rio de Janeiro zählte schon immer mehr der Schein. Seit mehr als einer Woche versuchen das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die Organisatoren, eine heile olympische Welt zu simulieren. Die Stadt ist mit bunten Plakaten gepflastert und mit Olympia-Fahnen behangen. Armenviertel tauchen in dem offiziellen Olympia-Stadtplan sowieso nicht auf. Die Favela Maré entlang der Schnellstraße vom Flughafen ist mit Plastiksichtschutz verhüllt. Obdachlose, Bettler und Prostituierte wurden aus den touristischen Vierteln vertrieben, meist gewaltsam. Olympia ist zu einer Welt hinter Zäunen, bewacht von schwer bewaffneten Soldaten, mutiert.

Mit Gewalt gegen Obdachlose

"Mir wurde gesagt, dass ich mich nicht entlang der Straßenbahnlinie aufhalten darf", sagt Erica Augusto. Dann sei sie von Polizisten mit Pfefferspray attackiert worden. Die neue Straßenbahn ist der ganze Stolz von Rios Bürgermeister Eduardo Paes, denn sie verbindet das restaurierte alte Hafengelände Porto Maravilha mit dem Stadtzentrum. Noch vor ein paar Jahren verirrte sich kaum jemand in die heruntergekommene Gegend, heute ist sie ein Touristenmagnet.

Staatsanwältin Carla Beatriz Nunes Maia hält die Anzeige von Augusto in den Händen. Sie arbeitet für die Menschenrechtsabteilung und als Pflichtverteidigerin. "In Rio ist diese Art von Politik bei Großereignissen üblich. Uns liegen viele Beweise vor, inklusive der Anwendung von körperlicher Gewalt." 60 Prozent mehr Anzeigen von körperlicher Gewalt gegen Obdachlose als im Vorjahreszeitraum hat sie seit Jänner aufgenommen. Es sei wichtig, diese Fälle sichtbar zu machen, sagt sie. Nur noch unter einem Vordach des Gebäudes der Staatsanwaltschaft im Stadtzentrum dürfen Rios Obdachlose nächtigen. Nunes und ihre Kollegen haben laut lokalen Medien eine informelle Vereinbarung mit der Stadtverwaltung ausgehandelt. Rund 70 Menschen ohne festes Zuhause nutzen die Zuflucht jede Nacht.

Außerhalb der Olympia-Blase

"Das sind bisher die schwierigsten Spiele, die wir jemals erlebt haben", sagte IOC-Vizepräsident John Coates der BBC. Wie ein buntes Ufo ist Olympia in Rio gelandet. In keinem Austragungsort waren die Kontraste bislang größer. Doch wenn sich Offizielle und Athleten aus der bewachten Olympia-Welt fortbewegen, kommen sie schnell in Kontakt mit Rios Realität. So geriet auf dem Weg vom Flughafen ins Olympiadorf ein Bus mit chinesischen Sportlern in eine wilde Schießerei zwischen Kriminellen und der Polizei.

US-Schwimmstar Ryan Lochte und drei Teamkollegen wurden Sonntagfrüh in einem Taxi überfallen und ausgeraubt. Die Kriminellen gaben sich als Polizisten aus, zeigten sogar ihre Marke, sagte Lochte dem Sender NBC. "Und dann holten sie ihre Waffen raus und sagten den anderen Schwimmern, sie sollen sich auf den Boden legen." Dem Olympiasieger wurde eine Waffe an die Stirn gehalten. Wertgegenstände und Geld wurden geraubt. In einer ersten Reaktion wies das IOC die Berichte über den Vorfall zurück, musste dies dann aber revidieren.

Auch die sogenannte "Katalysatorwirkung", von der IOC-Präsident Thomas Bach gern spricht, ist in Rio bislang nicht zu bemerken. "Die Spiele werden der Stadt nichts einbringen. Die Organisatoren müssen endlich mit dieser Lüge und den Geschichten über einen Nutzen für die Einwohner aufhören", sagt der Stadtplaner Christopher Gaffney von der Universität Zürich. Denn wer von den Bewohnern braucht schon einen dritten Golfplatz oder eine extra angelegte Wildwasserkanustrecke? (Susann Kreutzmann aus Rio, 16.8.2016)