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Auch die Apotheken stehen vor einer Umgestaltung – derzeit werden die Rahmenbedingungen ausgehandelt.

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In dem kleinen Laden riecht es nach Seife und frischem Heu. "Da ist auch Brennnessel drin, das ist gut für Knochen und Gelenke", sagt Kathrin Schönach mütterlich. "Eine Kundin hat damit die Beweglichkeit wiedererlangt, aber das Wichtigste ist halt Ausruhen", erklärt sie der jungen Frau, die heftig nickt.

Die beiden stehen vor einem großen Apothekerschrank, dessen Schubladen mit Wörtern wie "Honigklee", "Herzgespann" oder "Blutwurz" beschriftet sind. Im Regal sind Fläschchen: "Veilchentrank" gegen "Melancholie und Bedrücktsein" steht auf einem. Die Bärendrogerie in Innsbruck ist eine Drogerie alter Schule, eine Schnittstelle zwischen heutigen Drogeriemärkten und Apotheken – also eigentlich das, was der deutsche Konzern dm gerne werden möchte, wenn auch auf eine etwas andere Art.

"Die meisten Kunden kommen wegen Problemen mit dem Bewegungsapparat", erzählt Schönach. "Inzwischen ist Naturkosmetik aber fast schon genauso gefragt." Sie arbeitet seit fast vierzig Jahren als Drogistin. Seit über zehn Jahren in der kleinen Privatdrogerie, davor aber auch beim ehemaligen Konzernriesen Schlecker: "Bei uns steht Beratung an erster Stelle, in den Ketten geht es mehr ums Einschlichten in Regale", sagt Schönach.

Sätze wie diesen hört man derzeit häufig, allerdings von der Apothekerkammer. Sie schlägt Alarm, seit die Drogeriekette dm angekündigt hat, sich mittels Individualantrags an den österreichischen Verfassungsgerichtshof zu wenden. Denn: Arzneimittel sind in Österreich derzeit reine Apothekersache – selbst wenn für den Kauf kein Rezept notwendig ist, es sich also um sogenannte OTC-Arzneimittel ("over the counter") handelt. "Wir sehen da eine Ungleichbehandlung", sagt dm-Sprecher Stefan Ornig.

Beratung ist wichtig

Beide Seiten haben plausible Argumente: Beratung ist bei Arzneimitteln besonders wichtig, damit Neben- und Wechselwirkungen vermieden werden, begründen die Apotheker ihre Skepsis. Doch diese Gespräche werden beim Kauf von Aspirin oder Wundsalbe meist gar nicht geführt, kontert die Gegenseite.

Drogerie- und Supermärkte würden Rosinenpickerei betreiben und lediglich die umsatzstärksten Medikamente in ihren Geschäften verkaufen wollen, sagen die Apotheker. Der Drogerieriese macht auch gar keinen Hehl daraus: dm würde mit einer Umsatzsteigerung von bis zu 80 Millionen Euro pro Jahr rechnen. Im Gegenzug könne man die rezeptfreie Arznei aber auch um rund 20 Prozent günstiger anbieten.

Die Drogeriemarktkette hat sich kürzlich einen gewichtigen Fürsprecher zur Seite geholt: Der Verfassungsrechtler Heinz Mayer hat ein Gutachten erstellt, in dem er zu dem Schluss kommt, es sei verfassungswidrig, dass Drogerien keine rezeptfreie Arznei verkaufen dürfen, da es Apotheken erlaubt ist, diese im Internet über Online-Portale anzubieten. Das verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Der Verfassungsgerichtshof soll deshalb nun eine Reihe von Paragrafen prüfen – insbesondere im Arzneimittelgesetz.

Steht die Beratung im Zentrum der Debatte, drängt sich die Frage auf, wie sich die Ausbildungen von Angestellten in Apotheken und Drogerien unterscheiden. Apotheker darf sich nur nennen, wer ein Pharmaziestudium abgeschlossen hat und danach, ähnlich wie Rechtsanwälte oder Notare, ein Jahr Berufspraxis – ein "Aspirantenjahr" – nachweisen kann.

Vergleichbare Ausbildungen

Pharmazie gilt als anspruchsvolles Studium, es ist eine naturwissenschaftliche Forschungsdisziplin mit starkem Bezug zu den Biowissenschaften und Medizin. Vor allem geht es um Arzneimittelkunde und alles, was damit in Zusammenhang steht: das Auffinden von Arzneistoffen, die Herstellung und Gewinnung von Medikamenten, ihre Wirkungen und Nebenwirkungen, Qualitätssicherung und Lagerung.

Doch in einer Apotheke arbeiten nicht ausschließlich Apotheker, sondern auch sogenannte pharmazeutische Fachkräfte, die Kunden bedienen. Und, so argumentiert die deutsche Drogeriekette, ihre Ausbildung unterscheidet sich nur marginal von derjenigen der Drogisten: Beide Berufe verlangen eine dreijährige Lehrausbildung.

Will ein ausgebildeter Drogist zur pharmazeutischen Fachkraft umschulen, werden ihm zwei Jahre seiner Lehre angerechnet. Nachzuholen sind die Gegenstände "Geschäftsfall in der Apotheke", "Chemie, Physik und Labortechnologie" sowie "Verkaufspraxis in der Apotheke". Die Apothekerkammer betont, dass einem Drogisten unter anderem Kenntnisse im Umgang mit Rezepten und Verordnungen sowie das notwendige Wissen im Bereich Herstellung und Abgabe von Arzneimitteln fehle.

Telefon-Hotline

dm-Sprecher Ornig verunsichert das nicht. In jeder Filiale des Konzerns würden im Durchschnitt drei ausgebildete Drogisten arbeiten, von den insgesamt rund 3000 Mitarbeitern in Österreich habe mehr als ein Drittel diesen Lehrberuf abgeschlossen. Darüber hinaus sei bereits jetzt "eine größere Anzahl" an pharmazeutischen Fachkräften angestellt, wobei es hier genaue Zahlen nicht gebe. Vor allem aber würde dm auf eine telefonische Hotline setzen, über die Kunden Fragen abklären könnten. "Was wir anbieten könnten, wäre die Beratungsqualität einer Online-Apotheke", sagt Ornig.

In vielen Ländern Europas ist, was dm sich gerade zu erstreiten versucht, längst Realität. In Großbritannien, Italien, Portugal, Irland, Norwegen und Dänemark werden gewisse OTC-Arzneimittel sogar im Supermarkt verkauft.

Die Apothekerkammer warnt auch diesbezüglich: In den USA seien aufgrund der unkontrollierten Abgabe von Medikamenten bereits 28 Prozent aller Spitalsaufenthalte auf falsch eingenommene Arzneimittel zurückzuführen. Allein in Kalifornien müssten pro Jahr rund 60 Lebertransplantationen bei Kindern vorgenommen werden – wegen einer Überdosierung des fiebersenkenden Stoffes Paracetamol durch die eigenen Eltern.

Klar ist: Apotheken wollen keine neue Konkurrenz. Wie viel Prozent des Umsatzes der Verkauf von OTC-Arzneimitteln ausmacht, werde nicht erhoben und sei deshalb seriös nicht zu beantworten, heißt es vonseiten der Kammer.

Nicht nur Medikamente

Glaubt man dem Gutachten des Verfassungsjuristen Mayer, sind Apotheken nicht existenzbedroht. Nur acht Prozent ihres Gesamtumsatzes, so Mayer, fallen auf nicht rezeptpflichtige Arzneimittel. "Umsatzeinbußen im Falle der Marktöffnung für Drogisten würden sich in Bezug zum Gesamtumsatz nur marginal auswirken", sagt dm-Geschäftsführer Harald Bauer. Die Apothekerkammer solle bei ihrer Kritik "die Kirche im Dorf lassen".

In Innsbrucks Bärendrogerie ist man an der Debatte wenig interessiert: Kopfschmerztabletten würden dort auch nicht verkauft, wenn es erlaubt wäre. Selbst der Klassiker unter den Feuchtigkeitsprodukten, Nivea-Creme, wird nur mehr mit leichtem Argwohn verkauft. Dann öffnet eine junge Frau die Tür. Ob es hier dieses neue Parfum gebe, möchte sie wissen. "So etwas haben wir leider nicht", antwortet die Drogistin. "Da müssen Sie die Straße hinuntergehen – zum dm." (Katharina Mittelstaedt, CURE, 8.11.2016)