Elaine Thompson holte als erste Frau seit der US-Amerikanerin Florence Griffith-Joyner 1988 das olympische Sprintdouble.

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Rio de Janeiro – Als sich Elaine Thompson zur Sprintkönigin von Rio krönte, wurde selbst der große Usain Bolt zum Fan. Jamaikas Megastar ließ in den Katakomben des Olympiastadions die Journalisten stehen und hatte nur noch Augen für den Bildschirm, auf dem Thompsons Traumrennen über 200 m live gezeigt wurde – und beim Zieleinlauf flippte der Großmeister völlig aus.

Die Jamaikaner haben einen neuen Liebling, der Frauensprint hat eine neue Nummer eins: Als erste Leichtathletin seit der ebenso unerreichten wie umstrittenen Florence Griffith-Joyner vor 28 Jahren hat Thompson das olympische Sprintdouble gefeiert. Nach dem Triumph über 100 m rang die 24-Jährige über die doppelte Distanz in 21,78 Sekunden die Weltmeisterin Dafne Schippers aus den Niederlanden (21,88) nieder. Der anschließende Rummel um ihre Person war der schüchternen Thompson dann aber sichtlich zuwider.

"Ich werde doch auch nach diesem Tag die selbe Elaine bleiben. Nichts wird sich dadurch ändern", sagte sie. Und wer auf flotte Sprüche der Marke Bolt hoffte, sah sich enttäuscht. "Mein Schulmotto war, lass dein Licht scheinen. Und heute Abend habe ich meines scheinen lassen", sagte Thompson lächelnd. Mehr ging sie nicht aus sich heraus. Das musste sie auch nicht – sie hatte Taten sprechen lassen.

"Für mich selbst ist dieser Sieg eine Überraschung", sagte Thompson, die nach dem Zieleinlauf zunächst gar nicht registriert zu haben schien, dass sie vorne lag, ehe sie völlig baff war. "Ich hatte im Frühjahr eine Oberschenkelverletzung, bin nicht oft 200 Meter gelaufen. Aber ich bin eine Kämpferin."

Thompson ist der klare Gegenentwurf zu ihrer flippigen Landsfrau Shelly-Ann Fraser-Pryce, lange stand sie im Schatten der siebenmaligen Weltmeisterin. Aus diesem war Thompson erstmals bei der WM 2015 getreten, als sie über 200 m in 21,66 Sekunden auf Platz fünf der ewigen Bestenliste stürmte. Damals reichte es nur zu Silber, weil Schippers (21,63) noch schneller lief.

Atemlos im Ziel

In Rio aber war auch Schippers machtlos. "Dafne ist stark, besonders im Finish, deswegen musste ich so viel geben. Im Ziel hatte ich keine Luft mehr, musste mich erst einmal hinhocken", sagte Thompson. Der Touch des Übermenschlichen, des Zweifelhaften, der ihre Vorgängerin Griffith-Joyner umgeben hatte, ging ihr völlig ab.

Die 1998 im Alter von 38 Jahren verstorbene "Flo-Jo" hatte 1988 das Olympia-Double geschafft, ihre Weltrekorde über 100 (10,49) und 200 m (21,34) könnten noch Jahrzehnte bestehen. "Ich habe sie natürlich nicht persönlich gekannt. Aber ich habe Fotos und Videos gesehen", sagte Thompson. Mehr wollte, mehr konnte, mehr musste die schnellste Frau der heutigen Zeit über die schnellste Frau einer überwundenen Epoche auch nicht sagen. (sid, red, 18.8.2016)