Michalis Savvas lenkt frohgemut seinen alten Golf über Astypalea. Ein wenig bekanntes Inselchen der griechischen Sporaden, wo die Burg über der Chora, dem Zentralort, thront und die Platia den Katzen gehört. "Mein Golf hat schon 600.000 Kilometer auf dem Buckel. Vor ein paar Jahren gab’s einen Austauschmotor, ein paar Kleinigkeiten als Reparaturen – das war’s. Das ist halt ,Made in Germany‘", sagt der Besitzer von drei Ferienvillen. Savvas wirkt fröhlich, die Saison laufe recht gut. An diesem Tag sind sieben Touristen aus Deutschland, drei aus Großbritannien und zwei aus Skandinavien gelandet. Gerade einmal zwölf Besucher aus einem 36-sitzigen Flugzeug. Savvas strahlt trotzdem wie ein Weihnachtsmann.

Über der Chora der griechischen Insel Astypalea in den Südlichen Sporaden thront ein venezianisches Kastell aus dem 13. Jahrhundert.
Foto: Jochen Müssig

In Astypalea gehen die Uhren anders: Es gibt keinen Massentourismus, gerade einmal 7000 Urlauber kommen pro Jahr auf die Insel, die Flüchtlingskrise scheint fern, und die wenigen Siedlungen kommen ohne halbfertige Häuser aus – wie sonst so häufig zu sehen in Griechenland, weil die Banken keine Kredite mehr geben. "Wir Griechen wissen, was uns die eigenen Politiker in den letzten 40 bis 50 Jahren alles eingebrockt haben. Frau Merkel passt nur auf das geliehene Geld auf, das ist auch richtig", meint Savvas.

Auskommen auf der Insel

Die Finanz- und Flüchtlingskrisen schweben auch latent über der Chora von Astypalea, Savvas betont aber gerne: "Bei uns auf der Insel gab’s nicht eine Demonstration. Wir haben unser Auskommen und spüren kaum einen Unterschied zur Zeit vor diesen Krisen. Wir haben Fische, Hasen, Korn, Trauben und Zitrusfrüchte. Auf dem Festland ist das anders."

Am Ortsrand, mit Blick auf die Chora und sieben Windmühlen, sind die Melogranos Villas von Savvas an den Hang gebaut. Jeweils zwei Stockwerke hoch, mit Küche, Kamin und Jacuzzi auf der Terrasse. Für Ausflüge steht ein kleines Motorrad zur Verfügung. Alles ziemlich luxuriös für einen Ort, an dem man generalsanierte Volkswagen fährt und angeblich vom Fischfang und der Jagd lebt. Sicher sind die Einheimischen angefressen auf die EU und die Deutschen? "Óchi" – "nein", sagt Savvas knapp und scheint Recht zu behalten. EU-feindliche Schimpfereien bekomme man auf der Insel von niemanden zu hören.

Kinder spielen Fangen um die sieben Windmühlen der Insel Astypalea.
Foto: Getty Images/iStockphoto/Poike

Und dann das: "Was machst du, wenn du alles verkauft hast?", fragt ein deutscher Tennissocken-in-Sandalen-Tourist den Sesamringverkäufer am Fährhafen von Astypalea. Der alte Grieche überlegt. Offenbar hat ihn das noch nie jemand gefragt. "Ich gehe nach Hause und ruh’ mich aus." Ohne es zu wollen, bestätigt der grundvernünftige Mann dem Deutschen das einzementierte Griechenland-Klischee. Dabei hat sich hier so einiges geändert in den letzten Jahren, auch in Bezug auf den Fiskus.

Quittung mit Ouzo

Mákis von der einzigen Tankstelle auf der Insel gibt ungefragt eine Quittung her. Auch im Hafen wird eine Rechnung ausgestellt, frisch aus der Registrierkassa und nicht mehr wie früher ein handgeschriebenes Ticket für die Fähre. Und Carlos von der gleichnamigen Taverne an der Platia quittiert die Frage nach einer Rechnung mit einem höflichen "nä", was im Griechischen unzweifelhaft "ja" bedeutet. Den Ouzo, der früher häufig den Beleg ersetzte, gibt es trotzdem dazu.

Astypalea hat aber zum Glück auch einiges vom klischeehaften Griechenland-Bild behalten: Die Alten palavern im Kafenion und die Kinder spielen Fangen um die Windmühlen. Vieles wirkt wohltuend verschlafen, die wenigen Besucher müssen sich nie um einen der Korbstühle in den drei Tavernen auf der Platia streiten. Ebenso wenig um einen Platz auf einem der zwei Dutzend Strände. Die sind auch typisch griechisch: grausandig, kieselig, und putzig klein. Wenn ein Strand schon von einem Pärchen bevölkert ist, fährt man einfach weiter zum nächsten.

Gerade einmal 50 Kilometer Straße durchlaufen die Landschaft der knapp 100 Quadratkilometer großen Insel.
Foto: Getty Images/iStockphoto/Nazzu

Die knapp 100 Quadratkilometer große Insel hat gerade einmal 50 Kilometer geteerte Straße. Der Rest, auch alle Wege zu den Buchten, ist Piste. Bei Wanderern ist Teer aber ohenhin verpönt. Die steigen auf Astypalea gerne über Stock und Stein hinauf zum Badehaus von Talara mit seinen blauen Fließen und Mosaiken, die gut 2000 Jahre alt sind. Oder sie besuchen die Tropfsteinhöhle von Negrou und suchen nach Schätzen von Piraten, die dort bis heute versteckt sein sollen. Kletterer wiederum machen sich auf nach Ftera, wo zwei Steilwände mit 20 Routen aller Schwierigkeitsgrade warten.

Mitfahrgelegenheit

Am Straßenrand bei Marmari wartet derweil ein alter Mann. Als er das Motorrad kommen sieht, hält er es mit einem Veitstanz auf, überreicht einen duftenden Oreganozweig und sagt kurz: "Análipsi!" Klar fährt der Urlauber dorthin, schließlich endet dort die Straße. Er nimmt den guten Mann mit, der sich als Costas vorstellt.

In Análipsi steigt er wieder ab und äußerst noch eine Bitte: "Kart-posstal jia Costas!" Aber gerne doch. Warum sollte man nicht umgekehrt eine Postkarte von zuhause nach Griechenland schicken, wenn sich’s einer wünscht.