Qin Kai (links) und Cao Yuan hielten im Synchronspringen vom Dreimeterbrett Ausschau nach Gold, gewannen aber nur Bronze. Qin Kai berührte später mit einem Heiratsantrag an seine Wassersprung-Kollegin He Zi.

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Rio de Janeiro – 38 Goldmedaillen. Das war die Vorgabe für Chinas Sportler und Sportlerinnen. Das Nationale Sportbüro orientierte sich am Abschneiden bei den Spielen in London 2012. Noch gibt es in Rio zwei Wettkampftage, aber die Vorgabe wird deutlich verfehlt werden. Bei 20 Goldenen hielten die Chinesen bis Freitagnachmittag. Die eine oder andere könnte nach dazukommen. Der Wert von den Heimspielen 2008 in Peking ist weiter entfernt als die Chinesische Mauer vom Mond. Damals hatte China mit 51 Olympiasiegen sogar den Medaillenspiegel für sich entschieden.

Nur Gold zählt

Wegen der aktuellen Ausbeute sah sich der stellvertretende Leiter des Sportbüros bereits zu einer Entschuldigung genötigt: "Es stimmt, dass wir auf unerwartete Probleme und Herausforderungen gestoßen sind", sagte Gao Zhidan. Die Sportler würden dennoch bis zum "letzten Moment" kämpfen. Nur der erste Platz sei es, der in Wettkämpfen zähle, sagte Gao Zhidan in einem Interview der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Aber im Gegensatz zum Staat schämen sich viele Chinesen nicht für ihre Sportler. Im Gegenteil. Für mehr Aufregung und Begeisterung als die Goldfrage sorgt zumindest in Chinas sozialen Netzwerken wie etwa Weibo, wie erfrischend sympathisch und individuell sich einige der chinesischen Athleten in Brasilien präsentieren.

Schwimmerin brach Tabu

Nicht der kollektive Kampf um Gold steht plötzlich im Mittelpunkt, sondern das – manchmal auch verletzliche – Ich. Neuer Liebling der Chinesen ist die Schwimmerin Fu Yuanhui. Ganz offen erklärte die sichtlich erschöpfte Sportlerin in Rio nach dem 4-×-100-m-Lagen-Finale, warum es nur zu Platz vier gereicht hatte: "Ich habe gestern meine Periode bekommen und fühlte mich sehr müde."

Die Internetgemeinschaft reagierte entzückt auf diese Ehrlichkeit: "Wir alle können stolz auf sie sein, dass sie so ein Tabu anspricht", schrieb ein User. Ein Interview mit ihr über eine Smartphone-App verfolgten in China zehn Millionen Fans. Ebenfalls für einen Sturm der Begeisterung sorgte Wasserspringer Qin Kai, der seiner Freundin He Zi am Sonntag vor laufenden Kameras einen Heiratsantrag machte, nachdem sie kurz zuvor Silber im Bewerb vom Dreimeterbrett gewonnen hatte. "Gold am Finger ist doch noch besser als um den Hals", kommentierte ein User.

Weniger strenge Medien

Chinas kontrollierte Medien ändern seit Beginn der Spiele ihre Linie: Sie zeigen sich zum Teil weniger streng mit den Athleten. "Wir haben die Olympischen Spiele lange als eine Art Sportkrieg betrachtet", kommentierte etwa die Beijing Times. Die Zeiten, in denen westliche Athleten als "Feinde" betrachtet wurden und nur Gold zählte, seien vorbei. Die Spiele in Rio würden den "großen olympischen Geist" der Chinesen offenbaren, hieß es.

Ähnlich urteilte die Zeitung China Youth: "Für China finden die Olympischen Spiele in Rio nicht in den Wettkampfstätten statt, sondern außerhalb davon." Eine eigenwillige Erklärung, warum Medaillen für China plötzlich nicht mehr wichtig sind, lieferte das Blatt gleich mit: Die Nation strotze vor Kraft. Sie brauche heute keine Goldmedaillen im Sport mehr, um der Welt ihre "herausragende Rolle" und "Stärke" zu demonstrieren. (APA, red, 19.8.2016)