Blick von der Schattenburg über die historische Altstadt von Feldkirch. Die Gemeinden profitieren davon, dass der größte Teil ihrer Schulden variabel verzinst ist.

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STANDARD

Amstetten / Ried im Innkreis – Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat in Österreich eine in der Öffentlichkeit bisher wenig beachtete Nebenwirkung. Gemeinden ersparen sich derzeit hunderte Millionen Euro, weil Bankkredite extrem günstig geworden sind.

DER STANDARD hat in Niederösterreich, Oberösterreich, Kärnten und Vorarlberg bei lokalen Finanzverwaltungen nachgefragt und dabei viele ähnliche Geschichten zu hören bekommen. Kreditzinsen mit einer Höhe von 0,0001 Prozent, wie sie Amstetten auf ein offenes Darlehen bezahlt hat, kommen in Gemeinden durchaus vor. Die Zinsen sind so niedrig, dass manche der Orte mit ihren Darlehen de facto Geld verdienen, wenn man die Inflation einrechnet.

Was sich Tulln spart

Ein anschauliches Beispiel für eine Kostenersparnis liefert Tulln. Die niederösterreichische Gemeinde hatte Ende des vergangenen Jahres offene Darlehen in der Höhe von fast 50 Millionen Euro und bezahlte dafür 380.000 Euro Zinsen. Im Jahr 2008 lag der Schuldenstand bei bloß 38 Millionen, doch dafür fielen für die Gemeinde Zinsen in der Höhe von 1,4 Millionen an. In Ried im Innkreis (Oberösterreich) berichtet der Leiter der Finanzverwaltung, Georg Mattes, davon, dass sich die laufende Zinsbelastung des Ortes seit 2012 mehr als halbiert habe, obwohl der Schuldenstand in der gleichen Zeit nur moderat gefallen sei.

Ähnliche Rechnungen gibt es in Feldkirch. Dort sinkt die Höhe des durchschnittlichen Zinssatzes, den man auf Schulden bezahlt, seit 2008 kontinuierlich. Im vergangenen Jahr ist der Zinssatz erstmals unter die Zwei-Prozent-Marke gefallen. Auch in Purkersdorf (Wien-Umgebung) und im kleinen Bleiburg (Kärnten) freut man sich über solche Ersparnisse.

Die Gemeinden profitieren davon, dass der größte Teil ihrer Schulden variabel verzinst ist. Als Basis dient im Regelfall der Sechs-Monats-Euribor. Die Banken verrechnen auf diesen Referenzsatz einen Aufschlag. Vor der Krise waren die Zinssätze hoch, die Banken verlangten aber geringe Aufschläge. Dadurch schlägt das Zinstief voll durch. Laut einer Rechnung des Gemeindebundes lag die Zinsbelastung der Gemeinden ohne Einberechnung der Bundeshauptstadt Wien 2008 bei 450 Millionen Euro. Derzeit sind es etwas weniger als 200 Millionen.

Was aber geschieht mit den Ersparnissen? Gemeinden sind immerhin für die Erhaltung ihres Straßen-, Wasser- und Kanalnetzes verantwortlich. Sie finanzieren die Schulgebäude, Pflegeheime und den öffentlichen Verkehr, so es diesen gibt. Den größten Teil der Kosten für Kindergärten tragen sie ebenfalls. Führt also die Zinsersparnis zu mehr Investitionen in diesen wichtigen Bereichen?

Langsame Erholung

Die billigen Kredite dürften laut Experten einen Beitrag dazu leisten, dass die Investitionstätigkeit der Gemeinden sich nach dem krisenbedingten Einbruch wieder erholt. Das Gesamtbild ist komplex. So sind die Einnahmen der Gemeinden aus Steuern (Finanzausgleich) als Folge der Krise 2008/2009 eingebrochen. Inzwischen hat hier eine Erholung stattgefunden. Im Gegenzug sind einige Ausgaben nachhaltig angestiegen. Die höhere Arbeitslosigkeit sorgt dafür, dass mehr für Sozialausgaben (Mindestsicherung) bezahlt werden muss. Ein Teil dieser Kosten fällt auf die Gemeinden zurück.

Unter dem Strich zeigt sich, dass seit der Wirtschaftskrise wieder mehr Geld für Investitionen bleibt, sagt Karoline Mitterer, die im KDZ, dem Zentrum für Verwaltungsforschung, in Wien arbeitet (siehe Grafik). Einen deutlichen Sprung gab es laut Mitterer zuletzt bei den Ausgaben für den Kindergartenausbau. Im letzten Berichtsjahr (2014) haben die Gemeinden fast um ein Drittel mehr für Erziehung, Unterricht und Sport ausgegeben als im Vorjahr. Auch beim Straßenbau gab es Mehrinvestitionen. Viele der vom STANDARD befragten Gemeinden berichten davon, die Niedrigzinsen für Neuinvestitionen in das Kanalnetz genutzt zu haben.

Betrachtet man die Investitionen absolut, ist jedenfalls wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Setzt man die Investitionen jedoch ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, zeigt sich nur eine langsame Erholung. Dies ist teils darauf zurückzuführen, dass viele Gemeinden verstärkt investitionsintensive Bereiche ausgelagert haben und diese Investitionen dann in den Gemeindebudgets nicht mehr aufscheinen, sagt Mitterer. Andererseits sorgen die Bestimmungen des Österreichischen Stabilitätspakts, der eine Ausgabenbremse festlegt, dafür, dass weniger in den öffentlichen Bereich investiert wird. Das kann zu einem Investitionsrückstau führen. Laut der Ökonomin Mitterer gibt es in Österreich bisher keine aktuelle Studie, die zeigt, wie groß dieser Rückstau in Österreich ist. (András Szigetvari, 23.8.2016)