Bei zunehmender Komplexität in Wirtschaft und Arbeitswelt die Bodenhaftung zu bewahren gelingt nicht ohne Selbststeuerung. Wer das ignoriert, macht sich vom Äußeren abhängig.

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Die Prognose ist unmissverständlich: "Die Wirtschaft wird sich in den nächsten Jahren grundlegend verändern. Die Zukunft ist da, bevor wir damit rechnen", sagt einer der einflussreichsten Managementdenker unserer Tage, Hermann Simon, Gründer und heutiger Chairman von Simon, Kucher & Partners Strategy & Marketing Consultants, Bonn.

"Verschiedene Technologien werden miteinander verschmelzen und die Grenzen der physischen, digitalen und biologischen Welt durchbrechen. Unsere Art, zu leben und zu arbeiten, wird sich dadurch grundlegend verändern", beschreibt Klaus Schwab, Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums, der Organisation, die das alljährlich in Davos stattfindende World Economic Forum ausrichtet, das Kommende. Längst laufe der Motor dieser Entwicklung, die vierte industrielle Revolution, hochtourig.

Auf Ungewissheit einstellen

Diese Drehzahl dürfte das beruflich Gewohnte auf breiter Front eher früher als später und mehr denn weniger erschüttern. Einer Studie der London School of Economics zufolge sind die Revolutionäre 4.0, allen voran Roboter und Algorithmen modernster Provenienz, in Deutschland bereits dabei, 51,1 Prozent der Jobs zu übernehmen. Diesmal sind auch Tätigkeiten und Berufe betroffen, die bis jetzt von Revolutionen im IT-Bereich weitgehend verschont geblieben waren: Rechtsanwälte, Ingenieure, Ärzte, Designer, Journalisten.

Und so rät denn auch der Münchner Zeitforscher und Zeitberater Karlheinz A. Geißler: "Dass morgen das Gestern nicht weitergeht, wir aber nicht so richtig wissen, wie's weitergehen soll, auf diese das Geschehen bestimmende Ungewissheit sollten wir uns einstellen." Was den Schweizer Wirtschaftswissenschafter und Gastprofessor für Politische Ökonomie an der Universität Basel, Bruno S. Frey, in seiner Abhandlung Glück – Die Sicht der Ökonomie zu dem unsentimental-pragmatischen Schluss kommen lässt: "Beruflich wie privat muss das Lebensglück mithin irgendwie in der Bewährung und Behauptung in dieser permanenten Unsicherheit gefunden werden!"

Was Selbststeuerung ermöglicht

Aber wie? Mit der Vagheit seines Hinweises scheint Frey eine ganz bestimmte Botschaft bezüglich des Wie transportieren zu wollen: Für die Behauptung und Bewährung in der Turbulenz permanenter Unsicherheit gibt es keine allgemeingültigen Rezepte. Jeder muss nach diesbezüglich für ihn passenden Mustern, Möglichkeiten und Wegen suchen und ihnen folgen. Erst aus dem Individuellen dieses Prozesses kann eine im Instabilen stabilisierende Selbstbehauptung durch eine überlegte Selbstführung erwachsen. Erst dann können sinnvolle Schritte in das persönlich Zukünftige entwickelt werden.

Doch in dieser Hinsicht sieht der Geschäftsführer der Münchner Unternehmensberatung Coverdale, Thomas Weegen, Nachholbedarf: "Sich einfach in Veränderungen hineintreiben zu lassen, wie das häufig zu beobachten ist, wird zu einem bösen Erwachen führen. Unter irritierenden Umständen die Bodenhaftung zu bewahren gelingt nicht ohne Selbststeuerung. Wer davor die Augen verschließt, macht sich vollständig vom Äußeren abhängig und damit nach dem Motto 'Friss, Vogel, oder stirb' zum Spielball des Geschehens." Beispiele gebe es dafür schon genug. Selbststeuerung ermögliche, auf veränderte Anforderungen wie Gegebenheiten aus eigenem Antrieb flexibel reagieren zu können. Selbststeuerung führe zu dem entlastenden Bewusstsein, aus dem eigenen Denken und Überlegen kein ganz und gar dem Geschehen Ausgelieferter zu sein. "Die Augen davor zu verschließen und sich dem Trend hinzugeben, Anstrengung als uncool anzusehen, davor kann ich nur warnen."

Wirkungsvolle Vorsorge

Damit zielt Weegen auf die verbreitete Meinung, dass, wer sich ins Zeug legt, damit nur etwas für den Arbeitgeber tut. Sich in die Pflicht zu nehmen, sich anzustrengen, das heraufziehende Neue nicht auf die leichte Schulter zunehmen, sich damit auseinanderzusetzen, in diesem innengeleiteten individuellen Prozess, darin sieht er die wirkungsvollste berufliche Vorsorgemaßnahme. Das aus dieser Einstellung heraus erwachsende Gefühl, mit Druck, Ungewissheit, Unvorhersehbarkeit und Veränderungen umgehen zu können, werde im Fall eines heute jederzeit möglichen beruflichen Einschnitts zum entscheidenden inneren Halt und zur ermutigenden Triebkraft für einen Neuanfang. "Wer sich selbst bewiesen hat, in dieser radikalen Unsicherheit selbstgeleitet das zur Selbststabilisierung Notwendige tun zu können, der kann trotz allem noch aus einem gewissen Sicherheitsgefühl heraus leben und arbeiten und den Dingen entspannter gegenübertreten. Wer so über sich selbst Bescheid weiß und das nicht in eine nachlässige Selbstgefälligkeit abgleiten lässt, reitet die Wellen der Veränderungen besser als der, der sich ausschließlich von zeitgeistigen Denkweisen von außen steuern lässt", fasst Weegen zusammen.

Und die Gefahr, "sich von zeitgeistigen Denkweisen leichtfertig verführen und destabilisieren zu lassen, scheint mir heute größer denn je", sagt der Esslinger Philosophieprofessor Ferdinand Rohrhirsch. "Ich halte diese außengeleitete Orientierung für die wohl größte Schwächung psychomentaler Stabilität und sehe umgekehrt in der dem Leben Richtung und Halt gebenden Rückbesinnung auf die Notwendigkeit von Anstrengung und kritisch-abwägender Selbstführung den maßgeblichen Dreh- und Angelpunkt der Lebensstabilisierung im Instabilen."

Führungstechniken, die zum Vergessen sind

Aus philosophischer Sicht, mehr aber noch aus praktischer Coachingerfahrung gibt er zu bedenken: "Lässt sich jemand nur von der Volatilität des Äußeren, nur von den Vorgaben gerade tonangebender Denkweisen führen, dann fehlt dieser Person die Mitte, der Punkt, der ihr im Leben Halt gibt. Und aus diesem Rückhalt wiederum, aus diesem gewissen In-sich-Ruhen erst kann sich dann ein leitendes Gespür für das Hintergründige und für die sich daraus ergebenden Handlungsimpulse entwickeln."

Gerade auch im Blick auf das durch die laufenden Veränderungen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt ständig anspruchsvoller werdende Führungshandeln hält Rohrhirsch es für unverzichtbar, sich führend mehr auf die aus dem reflektierten Umgang mit sich selbst erwachsende persönliche Überzeugungskraft zu verlassen, als ausschließlich auf die alles über einen Kamm scherenden Führungstechniken zu setzen. "Sich selbst und andere im Instabilen einigermaßen stabil, also nicht noch zusätzlich entmutigend und verunsichernd zu führen verlangt Distanz zu sich selbst ebenso wie zu den Umständen. Oder anders gesagt, verlangt, Lernender zu sein und zu bleiben. Und das setzt nun einmal eine gewisse Selbstüberwindung und Anstrengung voraus."

Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, hat das unlängst in einem Interview so gesagt: "Das leichte Leben ist eine Illusion, wir müssen hart arbeiten, ein Fundament schaffen und dann darauf aufbauen." (Hartmut Volk, 30.8.2016)