Nicht die Behörden, sondern ein Capo eines Drogenkartells soll die Freilassung der Entführten verhandelt haben, wie Medien berichten.

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Die Entführung, die Mexikos Unterwelt aufmischte, dauerte fünf Tage. Jesús Alfredo und Iván Archivaldo Guzmán, Söhne des inhaftierten Drogenbarons Joaquín "El Chapo" Guzmán vom Sinaloa-Kartell, seien wieder auf freiem Fuß, berichtete die Zeitung "Rio Doce" am vergangenen Wochenende unter Berufung auf die Familie. Wie, wo und unter welchen Umständen die Freilassung erfolgte, war unklar – nicht einmal die staatlichen Ermittler wollten sich dazu äußern. Keiner der Angehörigen der insgesamt sechs Entführten hatte Anzeige erstattet; bei der Freilassung vermittelt hatte "Rio Doce" zufolge der zweithöchste Capo des Sinaloa-Kartells, "Mayo" Zambada. Guzmán ist eine Legende in Mexikos Drogenwelt; sein Kartell gilt als das reichste und mächtigste des Landes.

Die Guzmán-Söhne werden von einem US-Gericht wegen Kokainschmuggels gesucht. Sie fungieren als Statthalter ihres inhaftierten Vaters. Die Ermittler waren nach Auswertung von Videos und Zeugenaussagen zu dem Schluss gekommen, dass hinter der Entführung aus einem Luxusrestaurant in Puerto Vallarta das gegnerische Kartell Jalisco Neue Generation (CJNG) stecken musste.

Streit um Einflussgebiete

Sowohl die Umstände der Verschleppung – es fiel dabei kein einziger Schuss – als auch die rasche Freilassung sind derart seltsam, dass sie zahlreiche Spekulationen auslösten. Guzmán habe für die Freilassung seines Sohnes fünf Millionen US-Dollar gezahlt, lautet eine Version. Dass die kriminelle Absicht dahinter Lösegelderpressung war, erscheint jedoch sehr unwahrscheinlich – fünf Millionen US-Dollar sind unter Drogenbossen eine Kleinigkeit. Sollte wirklich das CJNG dahinterstecken, könnte das Faustpfand eine neue Absprache über Einflussgebiete sein, vermutet Mike Vigil, Exdirektor für Internationale Operationen der US-Antidrogenbehörde DEA. "Das CJNG hat die Grenzregion im Blick, die bislang noch vom Sinaloa-Kartell kontrolliert wird", sagte er dem Portal "Panam Post".

Bei der Entführung rief Zeugen zufolge einer der Bewaffneten den Gästen zu: "Ich habe euch gesagt, dass ich euch nicht hier sehen will!" Puerto Vallarta gehörte lange zum Einflussgebiet des Sinaloa-Kartells. Im Zuge des Drogenkriegs unter dem damaligen Präsidenten Felipe Calderón wurde aber 2010 der wichtigste Statthalter des Kartells in der Region, Nacho Coronel, bei einer Militäroperation ermordet. Im Nachfolgestreit entstand das CJNG unter Führung von Nemesio Oseguera Cervantes alias Mencho, das unter anderem die Hauptstadt Guadalajara und die Küstenregion übernahm.

Eine weitere Hypothese ist, dass das CJNG damit Druck auf den inhaftierten "Chapo" ausüben wollte, damit der bei einer drohenden Auslieferung an die USA sensible Informationen über das CJNG nicht preisgibt. Zumindest aber dürfte das glimpfliche Ende vorerst eine Eskalation im Krieg der Kartelle verhindert haben. In einem Twitter-Account mit dem Namen "Alfredo Guzmán", der seit April inaktiv war, wurde am 21. August jedenfalls folgender Satz eingetragen: "Wir müssen vergessen, was war, schätzen, was bleibt, und warten, was kommt." (Sandra Weiss aus Puebla, 26.8.2016)