Foto: Jung und Jung

Die in der rheinlandpfälzischen Römer-Stadt Trier 1947 geborene Deutsche Buchpreisträgerin Ursula Krechel hat ihre Frauenbilder, geschrieben in drei Jahrzehnten, in der Anthologie "Stark und leise" vorgelegt. Präsentiert werden Künstlerinnen und Wissenschafterinnen von Mittelalter bis zur Jetztzeit, Namhafte und No-Names von Arnim bis Droste, von Vicki Baum bis Irmgard Keun, von Irene Brin bis Elke Erb. Viele erwartbare Namen, einige Entdeckungen.

Der Kampf ums eigene Werk

Alle werden ins Auge genommen von einer Autorin, die selbst als Literaturwissenschafterin, Lyrikerin, Romancière und Kritikerin arbeitet. Allen Ausgewählten gemeinsam ist der Kampf um das eigene Werk, der Wille zum Ausdruck und die Anstrengung der Durchsetzung auf dem Markt. Allen gemeinsam ist der hohe persönliche Preis, den diese Pionierinnen zu zahlen haben, mit Selbstzweifel, mit Blockade, mit Erschöpfung, Verzweiflung und Armut. Den Preis dafür, dass sie ihre Worte, Bilder, Analysen öffentlich machen wollen – gegen Widerstände und Widersacher im Kunstbetrieb, gegen Nichtanerkennung durch das männliche Machtkartell, gegen seine Politik des Ignorierens, Verlachens, Schmähredens, Unterdrückens.

Spannung im Zwiespalt

Krechel arbeitet greifbar die unerträgliche Spannung dieser weiblichen Kreativität heraus zwischen den psychischen und den publizistischen Zwiespälten. In einem Panorama über das Berlin der Zwanzigerjahre ballt Krechel Zeitgeist, Lebensgefühl, Literatinnen und ihre literarischen Heldinnen zusammen zu einem exzellenten Gemälde von Berlin als "Auffanglager" internationaler Intelligenz, "das 1933 ausgeräuchert wird". Hier kennt sie sich aus, die Autorin; über diese Welt und deren Theatralik hat sie doktoriert, und daher funktioniert hier auch ihr radikal subjektiver Zugriff auf den Stoff, für den Krechel die Gattung des Essays wählt.

Gelungen daher auch die kurze Skizze über die heute nur noch Spezialisten bekannte "Karschin" – jene Annaluisa Karsch, die als Dorfschankwirtstochter über wahnwitzige Lebenslabyrinthe ohne jede formale Ausbildung im Preußen des 18. Jahrhunderts zur Dichterin aufsteigt und in Berlin sogar mit ihrem leibhaftigen König über Poesie parliert: "Herrscherlob und Kniezittern" – davon hätte man noch zehn Seiten mehr lesen wollen, auch um das Mirakel gelöst zu bekommen, woher dieses ungeschulte weibliche Wesen seine poetische Potenz schöpfte und so zum Miraculum seiner Zeitgesellschaft wurde.

Spätmittelalterliche Streiterin

Glücklos dagegen wird dieser essayistische Zugriff, wenn der Autorin ihr Gegenstand fremd ist und fremd bleibt. Das Bild, das Ursula Krechel von Christine de Pizan zeichnet, ist nicht beseelt. Eine Anstrengung, eine Belesenheit, eine Pflichtübung. Also noch ein Stückerl mehr über diese wohlbeforschte Gründungsheroine und Schutzherrin weiblichen Schreibens, die erste Schriftstellerin, die erste Feministin der kontinentalen Kultur, die im Spätmittelalter mit ihrem utopischen Buch Stadt der Frauen Furore machte. Dass die adlige Streiterin so zur Patronesse des großen Geschlechterstreites wird, als "Querelle des Femmes" über vier Jahrhunderte erbittert geführt, ist im Krechel-Brevier mit keinem Wort erwähnt. Immerhin handelt es sich hier um eine der zentralen Debatten europäischer Weltordnung. Und derart wird diese Heroine um ihre eigentliche Rolle als Pionierin gebracht.

Genau hier offenbart sich das Manko dieser Sammelbandes. Das unverbundene Nebeneinander all dieser Impressionen strandet in einer Beliebigkeit, die gedanklichen Rahmen und erklärende Zusammenschau ebenso vermissen lässt wie Begründung oder Erklärung der Auswahl. Nirgendwo sind Begriff und Konzept der "Pionierin" zu finden. Schade.

Schaden nimmt die Freude an der unabgenutzten und leuchtenden Sprache der Krechel leider auch dort, wo sie ihre Selbstdarstellung zur prätentiösen Selbststilisierung nutzt, um die eigene Bedeutsamkeit als Frau im deutschen Kulturbetrieb zu statuieren. (Friederike Hassauer, 30.8.2016)