In Fels gehauene Inschriften der Königsgräber von Naqsch-e Rostam in der iranischen Provinz Fars waren unter Grotefends ersten Übersetzungen aus der persischen Keilschrift.

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Georg Friedrich Grotefend (1775–1853).

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Wien – Am Anfang stand eine Wette, so ist es zumindest überliefert: Bei einem Spaziergang im Sommer des Jahres 1802 diskutierte der Göttinger Gymnasiallehrer Georg Friedrich Grotefend mit seinem Freund Raphael Fiorillo über die Entschlüsselung unbekannter Schriftsysteme. Der gerade einmal 27-jährige Grotefend vertrat die Ansicht, es sei durchaus denkbar, eine Inschrift zu entziffern, von der weder die Schrift noch die Sprache noch der Inhalt bekannt sind.

Fiorillo, seit kurzem Sekretär der Göttinger Universitätsbibliothek, widersprach heftig und forderte seinen Freund auf, diese Behauptung zu beweisen. Konkret schlug er ihm vor, es doch einmal mit einer der noch vollkommen rätselhaften Keilschriften zu versuchen: Er würde ihm Kopien von Inschriften zur Verfügung stellen, die in und um die altpersische Stadt Persepolis gefunden worden waren, seither jedoch von niemandem gelesen werden konnten.

Durchbruch nach sechs Wochen

Zwar wurden Grotefend ein scharfer Verstand und eine geradezu leidenschaftliche Begeisterung für Sprachen und Rätsel nachgesagt, Fiorillo dürfte dennoch siegessicher gewesen sein. Schließlich hatte sein Freund in Göttingen Altphilologie und Theologie studiert, sich aber nie näher mit den Sprachen oder gar den Keilschriften des Vorderen Orients befasst. Letztere verdanken ihre Bezeichnung den keilförmigen Schriftzeichen, die meist mit Schilfrohr oder Holzgriffeln auf feuchte Tontafeln geprägt, manchmal aber auch in Fels gehauen wurden. Die altpersische Schrift ist die jüngste und einfachste Keilschrift, doch Anfang des 19. Jahrhunderts zählte sie nach wie vor zu den großen Rätseln des Altertums.

Die Freunde einigten sich, und Fiorillo beschaffte die nötigen Unterlagen: Kopien der Inschriften und einen umfangreichen Reisebericht, den der Göttinger Mathematiker Carsten Niebuhr knapp 40 Jahre zuvor angefertigt hatte. Sechs Wochen später, am 4. September 1802, gab Grotefend den Durchbruch bekannt. Er hatte fast ein Drittel der altpersischen Keilschrift entziffert und damit ein neues Fenster in die Geschichte des Alten Orients aufgestoßen. Doch wie konnte dem jungen Mann in so kurzer Zeit gelingen, woran alle Altertumsforscher zuvor gescheitert waren?

Spekulation und Akribie

Die Antwort lautet wohl: durch kontextualisiertes Raten und eine ausgeprägte Kombinationsgabe. "Es war sicher auch sein Glück, dass er sich gerade auf diesen Typus von Inschriften gestürzt hat", sagt Michael Jursa, Professor für Assyriologie an der Universität Wien. "Bei seinen Abschriften handelte es sich um altpersische Königsinschriften, die relativ kurz und standardisiert waren und Namen, Titel und Familienverhältnisse von Königen nennen."

Dazu kommt, dass die im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung erfundene altpersische Schrift wesentlich einfacher aufgebaut ist als die älteren Keilschriften. Im Gegensatz zur komplexen babylonischen Variante etwa, die hunderte Zeichen umfasst, kommt die altpersische mit kaum mehr als 30 aus. Unter diesen Voraussetzungen dürfte Grotefend dann spekuliert haben, dass es sich bei immer wiederkehrenden Zeichenabfolgen um Namen von Königen handelt.

Als Griechischlehrer kannte er die persischen Königsnamen – und ging nach einem akribischen Ausschlusssystem vor. Am Ende offenbarte die Inschrift tatsächlich zwei Herrscher: Dareios I., der die Schrift entwickeln ließ, um das persische Großreich aufzuwerten, und dessen Sohn Xerxes I. Insgesamt zehn Schrift- und ein Wortzeichen identifizierte Grotefend 1802 richtig, ein weiteres Zeichen kam 1815 hinzu.

Ungleiche Pioniere

"Er war zweifellos ein extrem begabter Mensch und der Erste, der eine solche Schrift zumindest teilweise lesen konnte", sagt Jursa. Doch im Alter dürfte Grotefend zunehmend starrsinnig geworden sein. "Viele Erkenntnisse, die andere nach ihm erbrachten, hat er nicht anerkannt – und sich darin oft geirrt." Vor allem ein Nachkommender sollte noch Geschichte schreiben: der Brite Henry Rawlinson. Er kopierte in den 1830ern eine spektakuläre Felsinschrift aus dem persischen Behistun, mit der ebenjener Dareios I. seine Herrschaft wortreich zu legitimieren suchte.

Der Text ist in altpersischer, elamischer und babylonischer Schrift verfasst – und entpuppte sich als "Stein von Rosette" für die Keilschriften, als Schlüssel zur vollständigen Übersetzung. Jursa: "Rawlinson war selbst vor Ort und verfügte so über viel mehr Material. Damit hatte er den Hebel, den Grotefend nicht haben konnte." Auch wenn er von späteren Entwicklungen abgeschnitten blieb – die Wette von 1802 hat Grotefend gewonnen. Ein Rätsel bleibt allerdings ungelöst: worum die beiden eigentlich gewettet hatten. (David Rennert, 2.9.2016)