Heute setzt man auf dem Naschmarkt auf Gastronomie. Diese boomt, während Händler jammern.

Foto: Christian Fischer

"Zu uns kommen vor allem Stammkunden", sagt Maria Scharf.

Foto: Oona Kroisleitner, Christa Minkin

"Touristen kaufen wenig", sagt Singh Sarabjeet.

Foto: Oona Kroisleitner, Christa Minkin

Wien – "Waren Sie auf Weltreise?", fragt eine Frau mit gelber Schürze hinter der Theke hervor, während sie einen großen Laib Käse zerteilt. "Ich hab Sie schon vermisst." Der weißhaarige Mann auf der anderen Seite der Glasvitrine schmunzelt: "Nein, ich habe Sie vermisst." Smalltalk beim Einkaufen im Käseland am Wiener Naschmarkt. Das Gros an Kunden, das sich hier bei den fast 200 Käsesorten bedienen lässt, ist bei den Verkäuferinnen bekannt. "Zu uns kommen vor allem Stammkunden", sagt Maria Scharf, die in dem Betrieb arbeitet, der vor rund 40 Jahren in den Marktstand 172 einzog.

Da bestand der Naschmarkt schon seit 60 Jahren. Am Freitag und Samstag feiert er mit Konzerten und Verkostungen seinen 100. Geburtstag.

Die Kostproben der Touristen

Wer auf Laufkundschaft angewiesen ist, hat es auf dem meistbesuchten Markt Wiens schwerer. So herrscht bei vielen Standlern trotz Jubiläums nicht gerade Jubelstimmung vor. "Touristen kaufen wenig", sagt Singh Sarabjeet. Sie würden zwar die Kostproben, die er an seinem griechischen Spezialitätenstand verteilt, nehmen, dann aber weitergehen.

Im Sommer laufe das Geschäft nicht gut. "Bei 32 Grad gehen die Leute schwimmen." Unter den blau-weißen Blockstreifen der Markise sind neben dem Olivenstand acht Tische aufgebaut – die höchste Anzahl an Tischen, die für Standler laut Marktordnung erlaubt ist. "Ohne Gastro könnten wir hier nicht überleben", sagt Sarabjeet.

Existenzkampf

Viele der Standler nutzen diese Möglichkeit, um den Gewinn aufzubessern. Von den 123 Marktständen sind 38 der Gastronomie verschrieben. Maximal ein Drittel der Marktfläche darf für Gastronomie verwendet werden; das ist auf dem Naschmarkt bereits ausgeschöpft. Sarabjeet ist nicht der einzige Standler, der über Umsatzeinbußen klagt. Viele Händler kämpfen um ihre Existenz. Das Geschäft sei heuer sehr schwach gewesen, sagt Alex. Er verkauft auf den freien Flächen am Ende des Marktes Gewand, Tücher und Accessoires. "Es sind viele Leute hier, aber sie wollen kein Geld ausgeben." Früher sei die Konkurrenz nicht so groß gewesen. Jetzt gebe es viel mehr Stände.

Der Marktstand sei billiger, als ein Geschäftslokal zu mieten. Für einen Quadratmeter auf den Freiflächen zahlt er 1,50 Euro pro Tag. Ein fixer Stand auf dem Markt ist günstiger: Dort kostet ein Quadratmeter zwischen sechs und 15 Euro im Monat – je nachdem, was geboten wird und wem der Platz gehört. "Die billigste Variante ist, wenn einem der Stand selbst gehört und man nur verkauft", heißt es aus dem Marktamt. Ein Gastrolokal im gemeindeeigenen Marktstand ist am teuersten.

Alex' Kollege vom Nebenstand hofft, dass die Konkurrenz wieder weniger wird, wenn andere Verkäufer aufgeben. Er wolle jedenfalls weiter durchhalten.

Neben der "tollen Stimmung", die zum Flanieren einlade, und dem "speziellen Charme" freuen sich Touristen vor allem über das Angebot: Die Vielfalt sei "traumhaft", sagt Elisabeth aus Vorarlberg. "Es gibt alles", sagen Theresa und Thorsten aus Nürnberg.

"Überall dasselbe"

Peter Jaschke von der Initiative "Rettet den Naschmarkt" ärgert das: "Touristen fällt nicht auf, dass es überall dasselbe zu kaufen gibt." Er nennt das die "Vielfalt der Wasabinüsse". Tatsächlich haben viele Standler ein ähnliches Sortiment an Nüssen, Trockenfrüchten und Antipasti oder Sonnenbrillen, Kinderdirndln und T-Shirts. "Touristen kaufen eher so etwas als Gemüse, Fisch oder Fleisch", sagt Jaschke. Und für die Standler sei es einfacher: "Wasabinüsse halten sich lang."

Susanne Jerusalem, stellvertretende Bezirksvorsteherin (Grüne) des sechsten Bezirks, drückt sich drastischer aus: Die Standler mit Stammkundschaft würden gut funktionieren, der "Rest dümpelt vor sich hin". Viele würden jetzt aufhören wollen, weil sie derzeit noch eine hohe Ablöse bekommen könnten. Von "astronomischen Höhen" im Bereich von 500.000 Euro für 30 bis 50 Quadratmeter spricht Jerusalem. "Wer Lebensmittel anbieten will, kann sich das nicht leisten." Interessierte setzten eher auf Gastronomie oder Souvenirs. Noch sei der "Eindruck vom florierenden Markt voller Menschen" aufrecht. Doch "irgendwann wird das kippen", sagt Jerusalem. "Der Naschmarkt ist ein toter Markt." (Oona Kroisleitner, Christa Minkin, 2.9.2016)