Kaspar Erath bekämpft den niedrigen Wiener Richtwert. Elf Zinshäuser besitzt er in Wien, ...

Foto: Putschögl

... darunter den "Ruckerhof" in Meidling.

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Beim Haus an der Ecke Herzklotzgasse/Reindorfgasse im 15. Bezirk baut er aktuell das Dachgeschoß aus und schafft dort vier neue Wohneinheiten.

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Kaspar Erath steht auf der obersten Geschoßdecke seines Zinshauses im 15. Wiener Bezirk und hat eigentlich gar keine Zeit, lange über die äußeren Umstände seines Geschäfts zu reden. Der Dachgeschoßausbau muss am 15. Oktober fertig sein, denn da kommen schon die Mieter für die vier neuen Wohnungen. Wie immer beim gebürtigen Vorarlberger Ex-Polizeijuristen, der seit seiner Pensionierung dick im Wiener Zinshausgeschäft ist, stammen sie aus dem "Ländle". Dort hat er ein fein gestricktes Netzwerk, dort vertreibt er seine Wiener Wohnungen per Mundpropaganda.

Vermieten wird er netto um 8,50 Euro je Quadratmeter. Lift gibt es nämlich keinen, man muss per pedes die drei Stockwerke hochsteigen. Darunter, in den Regelgeschoßen, gilt ohnehin die Richtwertmiete von 5,39 Euro plus diversen Zuschlägen. Auch nach der Komplettsanierung so mancher Wohnung darf er hier in der Herklotzgasse, einem "Gründerzeitviertel" gemäß Wiener Lagezuschlagskarte, nicht wesentlich mehr verlangen – sonst riskiert er ein Verfahren vor der Schlichtungsstelle.

"Ermessensspielraum" des Gesetzgebers

Da, wo seine Mieter herkommen, in Vorarlberg, könnte Erath aber gleich um die Hälfte mehr kriegen. Der Vorarlberger Richtwert liegt nämlich bei 8,28 Euro. Es ist bundesweit der höchste.

Weil Erath erstens diesen immensen Unterschied nicht einsieht und zweitens schon gar nicht nachvollziehen kann, dass der OGH in zahlreichen Mietrechtscausen bisher stets den "Ermessensspielraum" des Gesetzgebers betont hat, der dem "öffentlichen Interesse der Schaffung von günstigem Wohnraum" dienen solle, bemüht er sich seit eineinhalb Jahren um eine sogenannte "Normenkontrolle" (vulgo "Gesetzesbeschwerde") in Sachen Richtwertgesetz. Eine solche ist seit 1. Jänner 2015 nämlich auch in Mietrechtsangelegenheiten möglich. Mit anderen Worten: Der Verfassungsgerichtshof möge überprüfen, ob der vergleichsweise niedrige Wiener Richtwert verfassungskonform ist.

250 Vermieter im Autohaus

Fachlich begleitet wird Erath dabei von Bernhard Müller von der Wiener Anwaltskanzlei Dorda Brugger Jordis. Gemeinsam sammeln die beiden anhängige Mietrechtsverfahren nach der ersten Instanz, unter anderem mithilfe abendlicher Infoveranstaltungen für Wiener Hausbesitzer. Mitte April kamen rund 250 von ihnen in ein Autohaus in Simmering.

Erath und Müller suchen gezielt nach Streitfällen, wo es um Zinshäuser in Gründerzeitvierteln geht und wo der Mietvertrag möglichst lange befristet wurde. Gleichzeitig mit dem Richtwert will man nämlich auch die geltenden Lagezuschlags- und Befristungsregelungen kippen. "Wir nehmen bevorzugt Fälle, wo der Lagezuschlag schon im Verfahren thematisiert wurde", sagt Müller; etwa wenn von einem Gutachter explizit festgehalten wurde, "dass ein Lagezuschlag von X an sich gerechtfertigt wäre, aber nicht verrechnet werden dürfe", erklärt Müller dem STANDARD – wegen des erwähnten Lagezuschlagsverbots in Gründerzeitvierteln. Diese Fälle tragen sie zum VfGH, der sich in einer seiner nächsten Sessionen damit befassen wird.

Kein "Generalangriff", aber ...

Der Verfassungsrechtsexperte ist aber auch dazu da, Eraths fallweise überschäumenden Enthusiasmus auf den Boden zu holen. Er zitiert die Stellungnahme der Bundesregierung zu seiner Verfassungsbeschwerde, diese weist darin auf die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hin, wonach den Staaten ein "weiter Gestaltungsspielraum" eingeräumt wird, inwieweit die Grundrechte von Vermietern aufgrund wohnungs- und sozialpolitischer Interessen eingeschränkt werden können. "Das ist also in gewisser Weise ein sozialpolitisches Mittel, um die Mieten in Wien niedrig zu halten. Das ist grundsätzlich verständlich", sagt Müller. "Nur: Das steht so nicht im Gesetz."

Ein "Generalangriff" auf die Mietzinsregulierung – als Verstoß gegen Eigentumsrechte – werde "so nicht durchgehen, das ist uns klar", sagt Müller. Diverse Klarstellungsbegehren an die Politik, vielleicht auch so manche teilweise Aufhebung erwartet man sich aber schon.

... Überprüfung der Richtwert-Festlegung denkbar

Wesentlich fußen könnte eine solche VfGH-Entscheidung auf der Tatsache, dass die Festlegung der Richtwerte für die einzelnen Bundesländer 1994 streckenweise wirklich grotesk anmutet. Im Richtwertgesetz gab es zwar eine genaue Anleitung, wie anhand der jeweiligen Grund- und Baukosten vorzugehen sei. Vier Prozent von den Grundkosten je Quadratmeter, plus fünf Prozent von den Baukosten, abzüglich diverser Kostenanteile für Dinge, die es im Altbau nicht gibt – etwa Garagenstellplätze, Aufzüge, Hobbyräume. Der so errechnete Betrag, geteilt durch zwölf, ergab den Richtwert. Die Abzüge für Stellplätze etc. waren deshalb nötig, weil man kaum verlässliche Daten des freifinanzierten Wohnbaus zur Verfügung hatte und sich stattdessen an den Kosten des geförderten Wohnbaus anlehnte – ein Umstand, den Vertreter der Immobilienwirtschaft bis heute kritisieren.

Warum der Vorarlberger Richtwert so hoch ausfiel, wird schnell klar: Im Ländle nannte man die Obergrenze der förderbaren Baukosten je Quadratmeter. Diese lag damals bei 22.000 Schilling. Wien meldete ebenfalls diese Obergrenze, dort lag sie aber lediglich bei 14.600 Schilling.

Stellplatz-Kosten nicht berücksichtigt

Ganz generell erstaunt es bei Durchsicht damals erstellter Niederschriften und Protokolle, dass die Unterschiede der einzelnen Richtwerte nicht noch weitaus höher ausfielen. Das Justizministerium bemühte sich nach Kräften, die teilweise enorm voneinander abweichenden Daten der Länder anzugleichen. Dennoch kam es zu eigenartigen Entscheidungen: Im Burgenland, in Oberösterreich und in Salzburg wurden gar keine Stellplatzkosten abgezogen, in Vorarlberg wiederum machte dieser Posten gleich 1980 Schilling aus, in Wien sogar 2300.

Vorarlberg meldete aber nicht nur die mit Abstand höchsten Baukosten, sondern auch die – noch vor Wien – höchsten Grundkosten. Somit konnte für Vorarlberg nichts anderes als der bundesweit höchste Richtwert herauskommen.

Politik bestimmte Höhe

Andererseits war in Wien und auch in Niederösterreich der politisch vorgegebene Wunsch vorherrschend, den Richtwert bei nicht wesentlich mehr als 50 Schilling je Quadratmeter zu deckeln. Das gilt in der Branche als offenes Geheimnis. Entsprechend wenig hatten in der Wiener Beiratssitzung vom 3. Februar 1994 die vier Vertreter der Immobilienwirtschaft gegen die Übermacht der Mieterschützer und der Vertreter des gemeinnützigen Wohnbaus zu melden. Sie konnten noch so oft im Protokoll vermerken lassen, bei diversen Berechnungen anderer Ansicht zu sein – es hatte keine Auswirkungen, sie wurden mit 6:4 niedergestimmt. Ihre Berechnungen wurden aber immerhin ins Protokoll aufgenommen; auf deren Grundlage wäre ein Wiener Richtwert von 79,40 Schilling herausgekommen, etwas mehr als in Vorarlberg. Beschlossen wurden 50,40 Schilling.

Mietervertreter wie Walter Rosifka von der Arbeiterkammer stellen aber auch die Frage, warum Vorarlberg so hohe Baukosten melden musste – und führt dies wiederum auf (zu) starken Einfluss der Immobilienwirtschaft zurück. Eines steht fest: Nach Durchsicht der damals erstellten Protokolle und Niederschriften ist es irgendwie verständlich, dass die Politik sich später solche Beiratsentscheidungen nicht mehr antun wollte. Die eigentlich vorgesehene regelmäßige Neufestsetzung der Richtwerte wurde bis heute unterlassen, sie werden nur valorisiert.

"100.000 Wohnungen in Wien möglich"

Erath weiß, dass die Sache auch so gar nicht nach seinem Geschmack ausgehen könnte: Wenn aufgrund seiner Initiative günstigere Mieten im Westen herauskommen, sind die Vermieter dort auf ihn wohl zu Recht stinksauer. Andererseits glaubt er, dass in Wien mit einem liberaleren Mietrecht rund 100.000 Wohnungen in Dachgeschoßen entstehen könnten, mit Investitionen von 20 Milliarden Euro – "grob gerechnet". (Martin Putschögl, 3.9.2016)