Der Ort ist historisch, an dem sich am Montag Außenminister Sebastian Kurz und sein italienischer Amtskollege Paolo Gentiloni treffen – so wie auch das Ereignis, das beide in Schloss Sigmundskron bei Bozen zusammenführt: der 70. Jahrestag des Pariser Vertrags zwischen Österreich und Italien – der Grundstein zur heutigen Autonomie Südtirols.
Sigmundskron war 1957 Schauplatz einer denkwürdigen Großkundgebung, bei der rund 30.000 Südtiroler in spannungsgeladener Atmosphäre für die Gewährung einer echten Autonomie demonstrierten. Heute könnte das Klima hingegen kaum entspannter sein. In Anwesenheit des Südtiroler Landeshauptmannes Arno Kompatscher und seines Trentiner Amtskollegen Ugo Rossi gehen italienische, österreichische und deutsche Historiker auf die bewegten Nachkriegsjahre und das langwierige Tauziehen um die Autonomie ein.
Gemeinsame Sprache
Am 5. September 1946 unterzeichneten Österreichs Außenminister Karl Gruber und sein italienischer Amtskollege Alcide De Gasperi im Rahmen der Pariser Friedenskonferenz jenes Abkommen, das den Schutz der Südtiroler Minderheit in Italien sichern sollte. Gruber war mit 36 Jahren einer der jüngsten europäischen Minister, der 65-jährige Christdemokrat De Gasperi ein bereits erfahrener Spitzenpolitiker. Verständigen konnten sich beide auf Deutsch: Der Trentiner Gesprächspartner hatte in Wien studiert und war später Abgeordneter im österreichischen Reichstag und im Tiroler Landtag gewesen.
Beide befanden sich in misslicher Lage: Gruber war mit dem aussichtslosen Auftrag angereist, die Angliederung Südtirols an Österreich zu erreichen. De Gasperi musste sich dem Druck der Briten beugen, "Österreich nicht in die Arme der Russen zu treiben".
Zwei kärgliche Seiten
Das schließlich ausgehandelte Abkommen umfasste nur zwei kärgliche Seiten und verpflichtete Italien, "den deutschsprachigen Einwohnern der Provinz Bozen die volle Gleichberechtigung mit den italienischsprachigen zu gewähren". Beide Unterzeichner erfuhren aus ihren Lagern harsche Kritik. Gruber wurde in Österreich und Südtirol als "Verzichtspolitiker" verunglimpft und nach seiner Rückkehr auf der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße von einem Vertreter des Kriegsopferverbandes öffentlich geohrfeigt.
De Gasperi musste sich massive Vorwürfe anhören, zu weit gegangen zu sein und Wien eine in Rom unerwünschte Schutzfunktion für Südtirol eingeräumt zu haben. Südtirol wurde mit dem Trentino in einer Scheinautonomie zusammengeschlossen, mit den Italienern in übergroßer Mehrheit.
Bei der Großkundgebung in Sigmundskron forderte der Obmann der Südtiroler Volkspartei, Silvius Magnago, das "Los von Trient". Die wachsenden Spannungen entluden sich schließlich in der Bombenserie 1961, auf die Rom mit der Entsendung von rund 25.000 Soldaten reagierte. Verhaftungen und Folterungen waren an der Tagesordnung, 350 Anschläge forderten 21 Tote. Mit der Einführung des Visumzwangs für Österreicher erreichte das frostige Verhältnis zwischen Rom und Wien seinen Tiefpunkt – der Pariser Vertrag schien zu einem wertlosen Stück Papier verkommen zu sein.
Durchbruch kam erst 1969
Erst 1964 ebneten die sozialdemokratischen Außenminister Bruno Kreisky und Giuseppe Saragat den Weg zu Verhandlungen, die 1969 zum Südtirol-Paket führten, das von der SVP in einer Kampfabstimmung knapp akzeptiert wurde. Damit begann die erstaunliche Erfolgsgeschichte Magnagos – und sein Aufstieg zu einem der wenigen europäischen Politiker, die behaupten konnten, ihr Lebenswerk erfüllt zu haben.
In wenigen Jahrzehnten vollzog sich in Südtirol der tiefgreifende Wandel von einer ärmlichen Bauernregion zur Wohlstandsprovinz, von jahrelanger Resignation zu neuem Selbstbewusstsein. Längst ziehen Bozen und Trient am selben Strang, und das Treffen in Sigmundskron beweist einmal mehr, dass der vielgeschmähte Pariser Vertrag die Grundlage bildete für eine völkerrechtlich abgesicherte Autonomie, die heute weltweit als Vorzeigemodell dient. (Gerhard Mumelter aus Bozen, 5.9.2015)