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Foto: Chen Wen/ Ap/ Picturedesk

STANDARD: Luxusgeschäfte sehen auf der ganzen Welt ähnlich aus. Warum ist das so?

Mikunda: Da muss ich Ihnen widersprechen. Die Spitze der Luxusshops hat in den vergangenen sechs, sieben Jahren einen Schritt gemacht, den man in Wien leider noch so gut wie gar nicht sehen kann. Man bemerkt ihn höchstens bei einigen Concept-Stores oder bei alteingesessenen Handwerksbetrieben wie dem Schuhmacher Scheer. In den Geschäften wird Kunst ausgestellt! Damit wird verdeutlicht, dass in den verkauften Produkten künstlerische Leistung steckt, die vergleichbar ist mit der Designleistung moderner Kunst.

STANDARD: Und dadurch unterscheiden sich die Geschäfte?

Mikunda: Ja. Der psychologische Mechanismus, der dahintersteckt, nennt sich Priming, die Kunst des vorinszenierten Erlebnisses. Der Präsentation der eigentlichen Ware, der Mode, des Schmucks, der Uhren, wird eine Inszenierung vorgeschaltet, die das Verhalten der Kunden so manipuliert, dass sie sich die Waren mit einem künstlerisch aufgeschlossenen Blick ansehen. Im Eingangsbereich des Wiener Louis-Vuitton-Stores können Sie das zum Beispiel an einem Bild der Staatsoper beobachten, das aus sehr vielen kleinen Bildern der Staatsoper zusammengesetzt ist.

STANDARD: Und das verleitet Kunden dazu, mehr zu kaufen?

Mikunda: Priming ist eine Manipulation, der wir ständig unterworfen sind, ohne uns dessen bewusst zu sein. Vielleicht kennen Sie den Fendi-Store in der Avenue Montaigne in Paris? Er wird dominiert von einer riesigen Metallskulptur des Künstlers Tony Cragg. In unmittelbarer Nähe des Werkes werden Mäntel wie Skulpturen inszeniert. Plötzlich merkt man, wie man durch diese Vorinszenierung auch die Waren im Geschäft wie Kunstwerke ansieht.

Scheer in Wien.
Foto: Peter Rigaud

STANDARD: Welche Auswirkungen hat das auf das Kaufverhalten?

Mikunda: Zunächst keine. Aber das Erlebnis, sich in diesem Geschäft aufzuhalten, wird intensiviert. Wir sprechen hier ja über Luxus. Früher hatte Luxus sehr viel mit Statusverhalten, mit Balzverhalten zu tun. Deswegen wurde in den Shops viel Marmor, wurden viele wertvolle Materialien verwendet. Der Shop war ein Tempel, der der Aufwertung der Produkte und natürlich auch der eigenen Aufwertung diente. Denken Sie nur an die alten grünen Prada-Shops, in die sich nur die hineintrauen sollten, die eine gewisse Kaufkraft gehabt haben. Dazu wurde man – vor allem in Wien – beim Eintreten von oben bis unten gemustert, ob man auch hierher gehört.

STANDARD: Heute ist das doch auch noch oft der Fall.

Mikunda: Nicht bei der Speerspitze der Luxusgeschäfte. Irgendwann kam man nämlich darauf, dass es schade ist, dass sich Menschen teure Produkte nur über den Statusblick ansehen. Wäre es nicht viel schöner, wenn man die Leistung des Designers mehr würdigt? Da kam die Kunst ins Spiel. Peter Marino war beinahe im Alleingang für diese Entwicklung zuständig. Der amerikanische Architekt hat von Chanel über Dior und Armani bis Louis Vuitton fast alle wichtigen Flagship-Stores der vergangenen Zeit entworfen. Der Flagship-Store der gerade verstorbenen Sonia Rykiel in Paris ist zum Beispiel wie eine Bibliothek eingerichtet, da stehen 40.000 Erstausgaben in den Regalen! Der Blick auf die Bücher sorgt dafür, dass man auch auf die Mode anders, verständnisvoller hinschaut.

STANDARD: Die Kunden werden gewissermaßen erzogen?

Mikunda: So ist es. Die Leute, die sich Luxus unreflektiert kaufen, sterben aus. Concept-Stores haben es sich sogar auf die Fahnen geschrieben, den Geschmack der Kunden zu bilden. Das Angebot wird kuratiert, nach bestimmten Vorstellungen des Geschmacks und der Coolness zusammengestellt.

STANDARD: Muss man Shops wie Museen mit angeschlossenem Museumsshop denken?

Mikunda: Wenn Sie so wollen. Die Kunstwerke sind nicht erwerbbar, sie gehören zum Entertainment, sind Teil der Ladendramaturgie. Früher hat man gesagt: Wer nicht lächeln kann, soll kein Geschäft aufmachen. Das Lächeln war das erste Extra, das man dem Kunden dazugegeben hat. In den 1970er-Jahren haben die Amerikaner dann begonnen, in den Geschäften Kulissenwände aufzubauen und begehbare Geschichten zu inszenieren. Dann haben Stararchitekten Luxustempel gebaut, auch in Österreich, wo prominente Architekten Humanic-Geschäfte entworfen haben. Schließlich hat man verstanden, dass auch Luxusshops Teil der Populärkultur sind und deswegen temporär inszeniert, mit Events bespielt werden müssen.

Fendi in Paris.
Foto: Fendi

STANDARD: Eine andere Entwicklung ist die, dass gerade im Luxusbereich mit Unfertigem und trashigen Materialien gearbeitet wird.

Mikunda: Rough Luxe. Ein gutes Beispiel ist die Boutique Song oder Scheer in Wien. Luxusshops, die nicht mehr nach Luxus ausschauen, die weggehen von den wertvollen Materialien. Raue, unverputzte Wände, Cortenstahl, Aluminium im Eingangsbereich. Die Idee, die dahintersteckt, ist die, dass Luxus nicht mehr Angeberei ist. Das ist die Gegenbewegung zu dem, was Peter Marino macht, wo ein Quadratmeter Tapete mehr kostet als ein ganzer Shop in Österreich.

STANDARD: Wenn man Luxus nicht mehr über Status definiert, wie wird er dann definiert?

Mikunda: Die reichen Leute heute haben studiert, früher war das manchmal nicht so. Wenn Sie sich anschauen, wer heute in den Suiten der Luxushotels wohnt, dann sind das Leute, die ganz normal ausschauen. Die aber über Bildung verfügen, Kosmopoliten sind. Die ein paar Jahre in New York gelebt haben, bevor sie den elterlichen Papierkonzern übernommen haben.

STANDARD: Was bedeutet das für die Präsentation von Luxusgeschäften nach außen hin? Keine Wachmänner mehr, keine Geschäfte, die wie Festungen daherkommen?

Mikunda: Doormen gibt es natürlich noch, wir leben in schwierigen politischen Zeiten, da ist das gerechtfertigt. Doormen hatten auch immer eine dramaturgische Funktion, sie symbolisieren gewissermaßen einen "verbotenen Ort". Was man nicht so leicht bekommt, steigt unweigerlich im Wert. Das Gemustertwerden war früher ein Bestandteil des Spiels. Wenn man aber ein Geschäft nicht mehr besucht, um aufgewertet zu werden, sondern um mit einem wertschätzenden Blick auf die Produkte zu schauen, dann hat das Prinzip des verbotenen Ortes nicht mehr den Stellenwert, den es früher hatte. Aus Doormen werden Greeter, Grüßaugust würde man bei uns sagen.

STANDARD: Nach all diesen Veränderungen, was sind die Insignien des Luxus heute?

Mikunda: Es gibt derzeit ein interessantes Phänomen, und zwar das Upgrade aller Diskonter um ein bis zwei Sterne. Es ist ja kein Zufall, dass H&M mit Stardesignern zusammenarbeitet, temporären Luxus verkauft. Oder Hofer-Filialen mit Tempelfassaden ausgestattet wurden. Umgekehrt werden Luxusshops unkomplizierter.

Diese Entwicklung wurde auch von der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama befeuert. Sie hat für Louis Vuitton Pop-up-Stores gemacht und 2012 eine eigene Kollektion entworfen. Kusamas Kunst ist scheu, sie drückt keine Erhabenheit aus. Da gibt es keine Tempelstruktur, keine große Freitreppe. Was sie macht, ist visuelle Völlerei auf höchster Ebene. Bunte Louis-Vuitton-Taschen, die Zusammenarbeit mit Manga-Künstlern. Sie hat in den Luxusbereich das Element der Destabilisierung gebracht. Man wird kurzfristig aus dem Gleichgewicht gehoben.

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Ein Wachs-Modell von Yayoi Kusuma im Schaufenster des von ihr gestalteten Louis-Vuitton-Stores in New York.
Foto: ap/willens

STANDARD: Die Diskonter rücken rauf, die Luxusgeschäfte runter: Verliert Luxus dadurch nicht seinen Schein?

Mikunda: Nein, nein, das eine ist die Inszenierung, das andere die tatsächliche Wertigkeit der Produkte. Auch Luxusshops müssen sich stärker öffnen, müssen bespielt werden, zu Happenings werden. Genauso, wie eine Mall bespielt werden muss. Der riesige Weihnachtsbaum, der Osterhase, der sich aus zehntausenden Glöckchen zusammensetzt ...

STANDARD: Einkaufsstraßen und Shoppingmalls werden zu Unterhaltungsorten. Was bedeutet das für Städte?

Mikunda: Eines meiner Bücher heißt "Marketing spüren. Willkommen am dritten Ort". Der erste Ort ist die eigene Wohnung, die emotional aufgeladen wird. Das ist eine Erfindung des späten 18. Jahrhunderts. Vorher waren die Leute froh, dass sie ein Dach über dem Kopf hatten. Der zweite Ort ist der gestaltete Arbeitsplatz, persönliche Gegenstände werden an den Arbeitsplatz mitgenommen. Home away from home. Die Leute wurden dadurch weniger krank, haben sich mehr mit dem Arbeitgeber solidarisiert. Die Third Places sind jene Orte, an die man nicht geht, um das Eigentliche zu tun, sprich etwas zu kaufen, sondern um auch die emotionale Aufgeladenheit des Ortes aufzunehmen. Weil der Ort einen emotionalen Mehrwert bietet. Das Wiener Museumsquartier etwa hat erst funktioniert, als die Enzis gekommen sind.

STANDARD: Einkaufsstraßen haben eine gesellschaftliche Funktion?

Mikunda: Absolut, Shops leuchten nach außen, bringen Orte zum Glühen. Deswegen ist es auch so wichtig, dass uns der Onlinehandel nicht die öffentlichen Orte kaputtmacht. Eine Möglichkeit ist, dass Shops in Zukunft nicht nur Waren verkaufen, sondern uns auch unseren Geschmack ausbilden. Ähnlich einer Galerie.

STANDARD: In der Luxusbranche nähert man sich erst seit einigen Jahren dem Onlinehandel an. Ist die Skepsis, die man gegenüber Online hat, berechtigt?

Mikunda: Je teurer ein Produkt ist, desto wichtiger ist das unmittelbare sinnliche Erlebnis. Insofern ist diese Distanz erklärbar. Die Technik ist allerdings besser geworden, Webseiten von Luxusbrands arbeiten mit allen technischen Raffinessen, man kann die Waren dreidimensional sehen. Das führte zu einem Paradigmenwechsel, die Hemmschwelle, auch etwas zurückzuschicken, ist gefallen.

Armani in New York.
Foto: Armani

STANDARD: Wie hat der Onlinehandel konkret Geschäftsstrukturen verändert?

Mikunda: Die Entwicklungen, die ich skizziert habe, sind sicher nur durch den Druck des Onlinehandels zustande gekommen. Das sind die schweren Geschütze, die Geschäfte auffahren mussten, um zu überleben. Das kostet alles wahnsinnig viel Geld, ohne Grund würde man sich das nicht leisten.

STANDARD: Wie beurteilen Sie diesbezüglich die heimischen Geschäfte, zum Beispiel jene am Kohlmarkt oder im Goldenen Quartier?

Mikunda: Ich finde, dass all die neuen Geschäfte, die in den vergangenen Jahren in Wien entstanden sind, stärker die emotionale Aufladung der Stadt nutzen sollten. Ihre reichhaltige Kultur und ihre Traditionen. Damit könnte man zeigen, was der spezifisch wienerische Blick auf Luxus sein könnte. Vor allem bei den Geschäften im Goldenen Quartier fehlt das massiv.

Der Kohlmarkt hat den Vorteil, dass er sich emotional viel stärker dem Kunden öffnet, da gibt es noch ein paar alteingesessene Geschäfte, wenige, aber doch. Das Goldene Quartier dagegen macht den Eindruck, als sei es ein Block für sich, es gibt kein Urban Design, das das Areal definiert. Der öffentliche Raum zwischen den Geschäften müsste gestaltet werden. Kunden erleben eine Einkaufsstraße in ihrer Gesamtheit. Es braucht mehr Stadtmarketing, und damit meine ich nicht nur Events.

Das von Adolf Loos gestaltete Portal der Buchhandlung Manz am Wiener Kohlmarkt.
Foto: Petra Eder

STANDARD: Was funktioniert gut in Wien?

Mikunda: Die großen Achsen. Denken Sie nur an den Donaukanal. Der war früher tot. Bei den großen Einkaufsstraßen gibt es da Nachholbedarf. Am Kohlmarkt funktionieren dagegen die Basics. Dazu zähle ich: Hat man es geschafft, ein Wahrzeichen zu werden? Es geht darum, neugierig zu machen. Lange hat man in Wien die Kunst der Schaufenstergestaltung nicht mehr gepflegt, das ist viel besser geworden. Die großen Marken bringen ihre Standardschaufenster nach Wien, da wäre es natürlich schön, wenn es hin und wieder einen regionalen Twist geben könnte. Dann: Gibt es eine Spannungsachse? Da geht es darum, die Leute ins Geschäft zu ziehen. Navigiert man intuitiv durch ein Geschäft? Im Goldenen Quartier haben die meisten Shops eine spektakuläre Treppe, aber selten eine Spannungsachse, die hineinzieht.

STANDARD: Treppen geben Kunden eine Richtung vor, locken Kunden von unten nach oben.

Mikunda: Ja, man muss einen Shop horizontal und vertikal aufspannen. Im Goldenen Quartier könnte man zum Beispiel zeigen, dass es eine Abfolge von zwölf bis 15 spektakulären Treppen gibt. Das dritte Basic ist: Gibt es einen roten Faden? Den brauchen Geschäfte genauso wie Einkaufsstraßen und Shoppingareale. Und der letzte Punkt ist die Core Attraction. Das kann ein Verkäufer sein, der im Geschäft steht. Oder die unglaubliche Treppe, die es im Armani-Flagship-Store in New York gibt. Allein um diese Treppe anzuschauen, lohnt es sich, nach New York zu fliegen. Egal ob man ein Millionenbudget hat oder nicht: Diese vier Elemente muss man bei jedem Geschäft berücksichtigen.

STANDARD: Ist das etwas Universelles? Gibt es kulturelle Dinge, die man berücksichtigen muss?

Mikunda: Kulturelle Unterschiede gibt es da kaum mehr. Luxus funktioniert in New York ähnlich wie in Tokio oder Linz. Selbst die Manga-Kultur ist bei uns angekommen, auch Bollywood. Shops sind Populärkultur. Sie sind Rock 'n' Roll. (Stephan Hilpold, RONDO Spezial, 14.9.2016)