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Mit einer Steuer auf Aktienkäufe und andere Finanztransaktionen sollte der Herdentrieb an den Börsen gezügelt werden – theoretisch. Statt wilder Entschlossenheit bleibt nach Jahren des Aufschubs nicht viel außer leeren Ankündigungen.

Foto: Mary Altaffer/AP/dapd

Wien – Es ist ein Ritual mit Wiedererkennungswert: Alle paar Monate setzen sich die Finanzminister der EU-Staaten zusammen und beraten, wann es denn nun ernst wird mit den seit Jahren gewälzten Plänen zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTS). Diese Art Umsatzsteuer für Finanzdienstleister soll riskante Geschäftspraktiken wie den hochfrequenten Wertpapierhandel eindämmen.

De facto rückt eine Umsetzung jedoch in immer weitere Ferne. Eine EU-weite Einführung ist ja bereits seit 2013 vom Tisch. Zuletzt waren nur noch zehn Staaten, darunter Österreich und Deutschland, mit an Bord, die FTS im Rahmen einer sogenannten verstärkten Zusammenarbeit einzuführen. Am Rande des Treffens der EU-Finanzminister am Samstag in Bratislava wurde die Entscheidung nun einmal mehr verschoben – diesmal auf Oktober.

Hinter den Kulissen wird schon lange über ein endgültiges Aus spekuliert. Offiziell wollen die Staatenvertreter davon zwar weiterhin nichts wissen, ihr Scheitern ist aber augenscheinlich. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble verwies auf Schwierigkeiten, die Steuer nur in einem kleinen Kreis einzuführen. Wenn nicht alle mitziehen, so die Befürchtung, hätte die jeweilige nationale Finanzwirtschaft in den Vorreiterstaaten mit empfindlichen Einbußen zu rechnen.

"Ob wir noch zehn sind, wissen wir nicht genau", so Schäubles vielsagender Kommentar. Die EU-Gesetzgebung sieht für die verstärkte Zusammenarbeit mindestens neun mitwirkende Länder vor. Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP), der das Vorhaben koordiniert, forderte für Oktober "ganz klare Ergebnisse".

Zweifel an Betrugsfällen

Anderes EU-Gremium, andere Front im Kampf gegen Lücken im Steuerrecht: Vergangene Woche gab die EU-Kommission bekannt, dass den Mitgliedsstaaten jährlich 160 Milliarden Euro an Mehrwertsteuer entgehen. Die Gründe für diese Lücke können Insolvenz oder Zahlungsunfähigkeit von Betrieben sein, aber auch Betrug und Steuerhinterziehung. In Österreich beläuft sich der Fehlbetrag auf fast drei Milliarden Euro. Zur Veranschaulichung: Das staatliche Budgetdefizit belief sich im Vorjahr auf 3,9 Milliarden Euro.

Die EU-Kommission bläst deshalb zum Angriff auf Mehrwertsteuerbetrüger. Ein Ziel, das sich allerdings schwer ins Visier nehmen lässt, kritisiert Gottfried Schellmann, Experte für internationales Steuerrecht: "Die Zahlen sind Schätzwerte, deren Datengrundlage in Dunkeln liegt."

Schellmann setzt sich für eine transparentere Berechnung ein. Derzeit sei unklar, ob alle nationalen Ausnahmen im jeweiligen Steuerrecht berücksichtigt werden. So sei Österreich beispielsweise das einzige Land in Europa, das den Wohnbau subventioniert, in dem es gemeinnützigen Bauträgern den Abzug der Vorsteuer ermöglicht. Allein diese Ausnahme würde fast die Hälfte der Umsatzsteuerlücke erklären, hat Schellmann ausgerechnet.

Die EU-Kommission verweist darauf, dass Mitgliedsstaaten bei der Erstellung der Statistik einbezogen worden seien. Aus dem Finanzministerium heißt es auf Anfrage, Sonderregeln wie jene im Wohnbau seien herausgerechnet worden. Diese Regelung sei überdies "die attraktivste für Mieter", weil sie die Mieten senkt.

Schrittweise Änderung

Die Kommission plant jedenfalls ab 2017 eine schrittweise Änderung der Mehrwertsteuerrichtlinien, um so den grenzüberschreitenden Steuerbetrug in den Griff zu bekommen. Für Schellmann eine Chimäre: Der sogenannte "Karussellbetrug", bei dem Scheinfirmen im Ausland nur zum Zweck gegründet werden, eine Leistung mit einem anderen Unternehmen zu verrechnen und so in den Genuss des Vorsteuerabzugs zu kommen, werde übertrieben dargestellt.

"Es gibt weit weniger und auch weniger umfangreiche Fälle, als die drei Milliarden Euro Fehlbetrag nahelegen", so der Steuerberater. (Simon Moser, 13.9.2016)