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Noch herrscht bezüglich künftiger Brexit-Szenarien diesseits wie jenseits des Kanals Abwartestimmung. In der Theorie werden Konsequenzen bereits durchgespielt.

Foto: Reuters / Christian Hartmann

Wien – Dem politischen Erdbeben der Brexit-Abstimmung vom 27. Juni folgten sogleich die Talfahrten an den Börsen. Nachdem sich diese Aufregung gelegt hat, geht es wirtschaftlich aber erst einmal weiter wie bisher. Angesichts der Zahlen sieht es so aus, dass der Brexit Österreichs Spediteure nicht allzu schwer treffen wird: Laut eines Berichts der Raiffeisenbank ist Großbritannien der achtgrößte Handelspartner – nur 3,2 Prozent der hiesigen Exporte gehen derzeit über den Ärmelkanal.

Vielleicht zeigt sich deshalb die Branche noch recht gelassen. Wolfgang Niessner, Vorstandsvorsitzender von Gebrüder Weiss meint: "Der Brexit hat aktuell keine Auswirkungen auf die österreichische Transportwirtschaft. Wenn er tatsächlich umgesetzt wird, dann werden wir entsprechend vorbereitet sein." Die große Frage sei aber, wie Großbritannien vor allem die Verzollung in Zukunft regele. Das schreckt Niessner dennoch nicht, da das für sein Unternehmen kein Neuland sei: "Wir haben langjährige Zollerfahrung und verzollen auch heute noch in Europa zum Beispiel in die Schweiz oder nach Norwegen."

Auch Helmut Schweighofer, CEO von DB Schenker in Österreich und Südosteuropa hat keine Panik: "Ein Wegfall von Handelserleichterungen könnte den Warenverkehr zwischen dem europäischen Kontinent und Großbritannien für unsere Kunden komplexer machen. Wir müssen die weitere Entwicklung abwarten und dann die richtigen Schlüsse daraus ziehen."

Für alle Fälle gewappnet sein

Dass es alles gar nicht so schlimm endet, meint man vor allem auf der Insel: Hier sei der Glaube an einen "weichen" Brexit, mit dem Großbritannien Teil des europäischen Binnenmarktes bliebe, noch recht verbreitet, berichtet Davor Sertic, Geschäftsführer von UnitCargo und Obmann der Sparte Verkehr und Logistik der Wirtschaftskammer Wien: "Viele meinen dort bislang, dass es zu keinem vollständigen Brexit kommen wird." Sertic rät, sich strategisch auf alle Möglichkeiten vorzubereiten: "Man sollte sich mit Szenarien für den besten und den schlimmsten Fall beschäftigen und jetzt schon nach neuen Märkten Ausschau halten, wenn Einbrüche zu erwarten sind."

Aber auch ein vollständiger Brexit würde aus österreichischer Sicht nicht viel verändern: Sollten Waren wieder verzollt werden müssen, ließe sich das mit digitalen Methoden leicht bewerkstelligen. Und zu längeren Wartezeiten komme es bei der Überfahrt nach England ohnehin jetzt schon durch die Flüchtlingszuwanderung.

Angesichts solcher Verlangsamungen, kann sich der Obmann vorstellen, dass nun Großspeditionen von diesem Standort abziehen und die Stunde der Spezialisten schlägt. Als Spediteur hänge man von Gesamtentwicklungen ab: "Die Logistik ist ein Stimmungsbarometer. Geht es der Gesamtwirtschaft gut, geht es uns auch gut."

Auf diesen Zusammenhang verweist auch Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik der WU Wien: "Man muss abwarten, ob der Brexit das Wirtschaftswachstum in Großbritannien und Europa stört – das hätte dann schlichtweg für alle Unternehmen extreme Auswirkungen."

Türkei-Spannungen folgenschwerer

Da aber im Großbritanniengeschäft Österreichs Transportunternehmen nur eine untergeordnete Rolle spielen, habe der Brexit für die hiesigen Spediteure insgesamt noch wenige Folgen. Der Ökonom hält durch die stärkere Anbindung der österreichischen Logistikwirtschaft an Zentral- und Osteuropa die Spannungen zwischen der Türkei und der EU für weitaus folgenschwerer als den Brexit.

Kurzfristig könne der Brexit sogar genützt haben: Von der Unruhe an den Kapitalmärkten blieben die Wechselkurse nicht unberührt: Da die Fracht nach Großbritannien meist in Euro abgewickelt wird, haben zuletzt kontinentale Logistiker womöglich vom taumelnden Pfund profitiert. Grundsätzlich seien solche Währungsschwankungen aber problematisch.

Der weiche Brexit, den sich viele Logistiker erhoffen, ist aus Kummers Sicht gesamtwirtschaftlich verlockend, aber politisch fatal: Ein klarer Schnitt sei vonnöten, um andere Länder vom Austritt abzuschrecken. Gleichzeitig sollte man aber genug Zeit einräumen, damit sich alle Beteiligten darauf einstellen können: "Die EU sollte in den Verhandlungen eine gewisse Härte zeigen, aber mit Blick auf die Übergangszeiten Vernunft walten lassen. Am Ende braucht Großbritannien nämlich Europa viel mehr als umgekehrt."(Johannes Lau, 21.9.2016)